Viele Unternehmen sind aktuell steigenden Material- und Herstellkosten ausgesetzt und befinden sich in einer historisch nie da gewesenen Situation. Man versucht schnell die Kosten zu senken und die Absatzzahlen zu steigern. Preiserhöhungen werden aber gerade im Mittelstand aufgrund der vertrauensvollen und persönlichen Kundenbeziehungen meist ignoriert oder kommen erst ganz am Schluss. Hier besteht Handlungsbedarf. Hat man sich dazu entschlossen, das Thema Pricing anzugehen, stellen sich viele weitere Fragen: Welche Höhe, welche Häufigkeit und wie reagieren meine Kunden darauf? Schnell kommt das Thema Dynamic Pricing und die Chancen auf bisher ungenutzte Potenziale auf.
Bestehende preisstrategische Maßnahmen reichen nur bedingt aus
Zunächst einmal ist es wichtig zu verstehen, woher die Notwendigkeit für Preisanpassungen kommt. Die meisten Unternehmen kommen aus einer Welt, in der Risiken in Form einer veränderten Kostenstruktur über lange Zeiträume planbar waren. Schwankungsbreiten wurden einkalkuliert und so galt es als zielführend in einem regelmäßigen Zyklus Preise anzupassen. Zu festen Zeitpunkten wurden Preise erhöht und an die Kunden kommuniziert. Doch die Pandemie, die Ukraine-Krise und die damit zum Teil verknüpften Entwicklungen im Bereich der Kostenstrukturen habe die Welt verändert. Die Folge: steigende Material- und Herstellkosten, steigende internationale Logistik-Kosten bis hin zu Lieferengpässen von Rohstoffen und Vorprodukten und das Ganze kombiniert mit einer noch nie da gewesenen Inflation.
Unternehmen haben versucht über verschiedene Instrumente entgegenzuwirken, aber letztendlich führt an einer Preiserhöhung kein Weg vorbei. Würde sich abzeichnen, dass es sich um eine einmalige Entwicklung handelt, könnte man mit der Preisanpassung vieles ausgleichen und in die alte Welt zurückkehren. Viele Unternehmen halten leider noch immer an diesem Glauben oder wohl eher der Hoffnung fest. Doch die Realität sieht anders aus und die Wahrscheinlichkeit, dass die Zukunft volatiler als anfänglich erwartet sein wird, ist groß. Entwicklungen der Kostenfaktoren über die nächsten Monate werden damit völlig unvorhersagbar und Unternehmen müssen fest davon ausgehen, dass sie zukünftig deutlich häufiger Preise anpassen müssen als in der Vergangenheit. Aktuelle Umfragen schätzen, dass es Preisanpassungen zukünftig bis zu achtmal im Jahr geben kann, und das gilt in beide Richtungen – nach oben, aber auch nach unten (Quelle: Manager Magazin). Bestehende Elemente der Preisstrategien stoßen aufgrund der Unplanbarkeit an ihre Grenzen und man muss die entsprechenden Pricing-Systeme schaffen, um flexibel auf Veränderungen reagieren zu können.
Chancen auf neue Potenziale durch Dynamic Pricing
Dynamic Pricing oder auch dynamische Preisgestaltung stellt genau diesen Lösungsansatz dar, der es Unternehmen ermöglicht, flexibel, schnell und automatisch auf wechselnde Kosten zu reagieren. Dabei werden angepasste Preise anhand von definierten Parametern und automatischen Algorithmen berechnet. Die Preisfindung erfolgt somit komplett digital und automatisiert und – wenn gewünscht – komplett unabhängig von menschlichen Einflüssen. Da neben den Kosten aber auch Parameter wie Wettbewerbspreise, Profile oder Klickzahlen berücksichtigt werden können, bietet es darüber hinaus weitere Potenziale, wie erhöhte Margen und höhere Umsätze durch Kundenzugewinne. Doch wie sieht das im Detail aus?
Streng genommen ist Dynamic Pricing nichts Neues. Schon der Bäcker in der alten Nachbarschaft passte Preise „dynamisch“ an. Beispielsweise wurde das Brot am Abend günstiger angeboten, um es noch absetzen zu können. Und seit jeher nutzte der stationäre Handel die rot durchgestrichenen Preisschilder für kurzfristige Preissenkungen oder für Lockangebote. Doch eben meist nicht automatisch und nicht datenbasiert, sondern basierend auf persönlichen Erfahrungen und Einschätzungen. Im Bereich E-Commerce schaut das schon etwas anders aus. Hier arbeitet bereits ein Großteil mit der Methode. Bereits 2015 veröffentlichte der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland e.V. (bevh) eine Studie, die zeigte, dass etwa 40 Prozent Dynamic Pricing aufgrund der Preistransparenz im Internet nutzen. Hier lassen sich aktuelle Kundennachfragen über Klickzahlen und Wettbewerbspreise aufgrund der digitalen Transparenz sehr einfach nutzen und in Echtzeit ideale Preispunkte setzen.
Eines der greifbarsten und wahrscheinlich bekanntesten Beispiele des Dynamic Pricings ist Uber. Bestimmt haben Sie an einem Samstagabend schon einmal ein Uber bestellt und sich gewundert, dass der geforderte Preis deutlich höher ausfällt, verglichen mit der gleiche Fahrt einige Tage zuvor. Dies ist auf Dynamic Pricing zurückzuführen. Uber berechnet nämlich seine Preise anhand verschiedener Parameter. Dabei spielt die Distanz eine wichtige Rolle. Aber nicht die einzige. Auch die aktuelle Verkehrssituation, die geplante Dauer und das aktuelle Fahrerangebot in Bezug auf die aktuelle Kundennachfrage werden berücksichtigt. Heißt in Konsequenz, wenn Sie Samstagabend eine Uber-Fahrt planen, ist aufgrund der bekanntlich hohen Nachfrage und dem erhöhten Verkehrsaufkommen bei gleichbleibender Anzahl an Fahrern der Preis deutlich höher, verglichen mit einer Fahrt für die gleiche Strecke an einem Dienstagvormittag gegen 11:00 Uhr. Dem versucht Uber entgegenzusteuern und nutzt bei starker Nachfrage die erhöhten Preise, um zusätzliche Fahrer zu motivieren und damit die Nachfrage auszugleichen.
Ein weiteres Beispiel ist die dynamische Bepreisung im Bereich produzierender Unternehmen. Hier stellt die aktuelle Werksauslastung den wichtigsten Parameter dar. Befinden sich die Produktionsauslastung und die Planung für die nächsten Wochen nahe der Maximalkapazität, werden hier kurzfristig und automatisch höhere Preise aufgerufen. Die Preise werden dabei flexibel in direkter Abhängigkeit zur Auslastung definiert. Ergänzt wird das Ganze häufig durch den Parameter der Kundenkategorie. Handelt es sich um einen strategisch wichtigen Kunden, z.B. aufgrund des Potenzials oder der bisherigen Umsatzgröße, kann auch diese Information in der automatischen Preisbildung berücksichtigt werden. Man sieht also, welche Spielräume Dynamic Pricing ermöglicht und in welcher Flexibilität auf Kostensteigerungen aber auch viele weitere Parameter reagiert werden kann. Zudem hat Dynamic Pricing auch einen Einfluss auf die Kundenreaktion. In der Vergangenheit wurden aus Kundenperspektive aufgrund der doch seltenen Preisanpassungen sogenannte Preisanker gesetzt. Der Kunde konnte also ziemlich genau abschätzen, welchen Durchschnittspreis er für eine Leistung oder einen Service zahlen muss. Aufgrund der häufigen und flexibleren Anpassungen im Bereich Dynamic Pricing wird dieser Anker zerstört und die Preiseinschätzung verschwimmt.
Wie kann ich Dynamic Pricing in meinem Unternehmen umsetzen?
Dass Dynamic Pricing sich in verschiedenen Branchen umsetzen lässt, haben die bisherigen Beispiele gezeigt. Was ist nötig, um ein Dynamic Pricing in Ihrem Unternehmen umzusetzen? Dafür haben wir sechs wesentliche Leitplanken definiert.
- Pricing Mindset
Bevor mit der Konzeption gestartet werden kann, ist das entsprechende Mindset notwendig. Nur wenn der Nutzen und die Notwendigkeit von allen Beteiligten verstanden und verinnerlicht wurden, macht es Sinn, das Projekt zu starten. Dabei kann es herausfordernd sein, das bestehende Vertriebsteam, das teils über Jahrzehnte gewohnt war, absolute Preishoheit zu haben, für ein dynamisches Pricing zu sensibilisieren und zu begeistern. - Klare Preisstrategie
Jedes Unternehmen benötigt eine klare Preisstrategie, die sich an der Gesamtstrategie ausrichtet. In den meisten Fällen kommen Unternehmen aus einer umsatzorientierten Wachstumsstrategie, die über Jahre das Unternehmen geprägt hat. Ein wichtiger Schritt ist hier der Übergang zu einer profitorientierten Wachstumsstrategie. Hier ist darauf zu sensibilisieren, dass jeder durchgesetzte Euro einer Preiserhöhung direkten Einfluss auf den Gewinn hat. Gerade im produzierenden Unternehmen nutzen viele Unternehmen einen kostenbasierten Preisansatz. Auf Basis der Herstellkosten, wird eine definierte Marge aufgeschlagen und so bildet sich der Preis. Um ein Dynamic Pricing umzusetzen, muss die Bereitschaft für eine Änderung der Pricing Methode die Basis sein. Des Weiteren müssen weitere Elemente einer Pricing Strategie (z.B. Positionierung, Differenzierung zwischen Kanälen, Methoden, etc.) im Vorfeld definiert werden. - Inputgrößen und Logik
Um den Dynamic Pricing-Algorithmus zu definieren, müssen feste Inputgrößen für die Preisbildung definiert werden. Diese Inputgrößen definieren die zukünftigen Preispunkte und sind im Vorfeld konzeptionell festzulegen. Dabei muss eine Priorisierung der Inputgrößen erfolgen und feste Abhängigkeitsregeln definiert werden. In unserem Uber-Beispiel würde das bedeuten: Wie verändert sich der Preispunkt, wenn die Kundennachfrage bei gleichbleibender Fahrerzahl um 10% steigt? Nur so kann die Logik entsprechend der Preisstrategie arbeiten. Innerhalb der Entscheidungsregeln gilt es außerdem, einen gewissen Rahmen vorzugeben, der verhindert, dass die Preispunkte beliebig hoch steigen oder fallen. - Vertragliche Voraussetzungen
Ein weiterer Punkt sind die vertraglichen Voraussetzungen. Ein Konzept kann nur umgesetzt werden, wenn die vertragliche Basis gesichert ist. Haben Sie mit Ihren Kunden also feste Preiszusicherungen vertraglich definiert, gilt es hier, rechtzeitig die Vertragsdokumente an dynamische Preise anzupassen. Auch wenn kein Dynamic Pricing-Konzept umgesetzt werden soll, ist dies ein wichtiger Punkt, der Ihnen auch bei manueller Anpassung Spielraum verschafft. - Systemische Voraussetzungen
Um ein dynamisches Pricing-Konzept wirklich umsetzen zu können, muss es in Echtzeit arbeiten können. Dafür ist eine Anbindung and die bestehenden ERP- und/oder CRM-Systeme und ggf. noch weitere notwendig. Nur so können aktuelle Informationen jederzeit beschafft werden. Dafür sind die systemseitigen Voraussetzungen zu schaffen. - Etappenplan mit Governance
Da die bisher beschriebenen Schritte Einiges an finanziellem und kapazitativem Aufwand aber vor allem auch an Mindset-Veränderung erfordern, empfiehlt es sich, das ambitionierte Ziel eines dynamischen Pricings in der Praxis auf Etappen aufzuteilen. So ist es häufig für die meisten Unternehmen ratsam, eine Zwischenlösung zu definieren. Diese kann zum Beispiel in Form eines „Empfehlungspreises“ umgesetzt werden, welcher durch das neue System ermittelt wird. Die Vertriebsmannschaft hat somit die Möglichkeit, bei Bedarf nachzusteuern und gerade aus kulturellem Blickwinkel kann ein solcher Zwischenschritt wahre Wunder bewirken. Hierfür wird jedoch eine Governance benötigt. Es bedarf klarer Regeln, wer in welcher Form die Preise anpassen darf. Mit dieser Lösung kann man sich an das neue System gewöhnen und Erfahrungswerte in die Logik einfließen lassen.
Fazit
Gerade in der aktuellen Situation der steigenden Kosten bietet Dynamic Pricing in Form eines intelligenten, (teil-)automatisierten, digitalisierten Preissystems eine ideale Lösung, um auf häufig schwankende Kosten (in beide Richtungen) schnell reagieren zu können. Es bietet darüber hinaus die Chance, höhere Margen zu realisieren und ggf. neue und eine höhere Anzahl an Kunden zu gewinnen. Unabhängig davon bietet es den Anreiz, alte Pricing-Strukturen zu überdenken und lange notwendige Preisanpassungen anzustoßen.
Um es erfolgreich umzusetzen, ist es aber wichtig zu verstehen, dass Pricing gesamtheitlich betrachtet werden muss und es sich vielmehr um einen Prozess als eine kurzfristige Lösung handelt. Neben der Konzepterstellung muss deshalb vor allem das Thema Mindset-Wandel der Mitarbeiter ernst genommen werden und mit entsprechenden Kommunikationsmaßnahmen begleitet werden. Abschließend müssen zusätzlich die systemischen Voraussetzungen geschaffen und Verträge ggf. angepasst werden. Um in der Zukunft reaktions- und damit wettbewerbsfähig zu sein, wird somit kein Weg an Dynamic Pricing in entsprechender Ausprägung vorbeiführen.