Moritz Weissman hat das Ohr am Puls des Mittelstands. Seine Erfahrung: Die Corona-Krise wirkt wie ein Accelerator auf viele Prozesse. Ein Interview mit FOCUS Business über die Herausforderungen und den Reformbedarf des Mittelstandes.
Sie beraten überwiegend Familienunternehmen in klassisch strategischen Unternehmensfragen, aber auch bei der oftmals durchaus heiklen Frage der Nachfolgeregelung. Geht das überhaupt virtuell?
Unser Geschäft ist tatsächlich ein sehr persönliches, das stark auf Vertrauen beruht. Wir entwickeln die Lösungen gemeinsam mit den Kunden, was natürlich einfacher geht, wenn man sich direkt begegnet. Mit unseren langjährigen Kunden hat der Wechsel in den Remote-Modus dennoch problemlos geklappt. Eine extreme Herausforderung war die Kommunikation mit Neukunden, und natürlich auch die Akquise: In der strategischen Beratung und vor allem in Übergabefragen braucht es meist einen langen Vorlauf und viele Begegnungen. Die Frage, ob die Chemie stimmt, ist da mindestens genauso wichtig wie die fachliche Expertise.
Wie haben Sie das gelöst?
In gewisser Weise hat uns da die Corona-Pandemie selbst geholfen. Unser Unternehmen ist schon seit Jahren bestrebt, vieles remote ermöglichen, und wir haben in der Krise nochmals in unsere digitale Infrastruktur investiert. Unsere Kunden waren allerdings bis dato eher zurückhaltend in diesen Dingen. Das hat sich nun zwangsläufig geändert, denn im Lockdown gab es keine Alternative.
Wie wirkt sich die Krise Ihrer Erfahrung nach auf den Mittelstand aus? Sind die Unternehmen zögerlicher, strategische Veränderungen anzupacken?
In der ersten Welle war das sicher so. Da lag der Fokus bei den meisten auf der operativen Krisensicherung. Das ändert sich jetzt aber gerade. Derzeit durchlaufen viele eine Phase der Bestandsaufnahme. Die spannende Frage wird sein, wie mutig werden die Firmen sein? Das ist ja auch eine mentale Frage.
Wie meinen Sie das?
In jedem Fall beschleunigt die Coronakrise die Prozesse – in die eine oder andere Richtung. Viele unserer Kunden, bei denen die Frage der Nachfolge im Raum stand, entscheiden sich nun zu verkaufen. Sie haben die Wirtschaftskrise 2008 überwunden und wollen jetzt nicht noch eine durchmachen. Oder die potentiellen Nachfolger fragen sich: „Will ich das überhaupt noch?“ Bei anderen wiederum hat die Krise den Generationenwechsel beschleunigt, da war die Pandemie die Chance, sich zu bewähren. Und dann gibt es die Firmen, die fragen sich, was muss ich jetzt tun, um robuster zu werden oder konkurrenzfähig zu bleiben?
Betrifft das vor allem die vom Mittelstand bislang vernachlässigte Digitalisierung?
Innovationsbedarf gibt es da definitiv, aber so gravierend wie oft dargestellt, ist der Rückstand keineswegs. Man muss nur verstehen, dass der Mittelstand eher pragmatisch an diese Dinge herangeht. Sich zum Beispiel fragt: Wie kann man sich mit den Lieferanten vernetzen, wie Abläufe vereinfachen? Oder auch: Was muss ich tun, damit mich mein Mitbewerber nicht überholt? Was sich meiner Meinung nach definitiv ändern wird, ist, dass die Unternehmen künftig darauf achten werden, nicht zu sehr von einem einzigen Lieferanten, etwa in China, abhängig zu sein.
Und welche Lehre ziehen Sie persönlich aus der Krise?
Ich glaube als Unternehmer muss man sich gerade in schwierigen Zeiten zu seinen „Wurzeln“ besinnen – zu der Frage, warum man überhaupt unternehmerisch agieren möchte. Und wenn man hier für sich ein klares Bild hat, dann hilft einem das auch, die ja durchaus schwierige Zeit, nicht nur kaufmännisch, sondern auch mental erfolgreich durchzustehen.
Erschienen in: FOCUS Business, 03/2021