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Blog-Artikel

Industrialisierung im Bauwesen

Wie serielles und modulares Bauen die Baubranche revolutioniert

Moritz Weissman | Industrialisierung im Bauwesen
Moritz Weissman | Industrialisierung im Bauwesen

Mit einem Anteil von 6% an der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung ist die Baubranche eine der zentralen Säulen der deutschen Wirtschaft (Quelle: Bauindustrie). Doch trotz ihrer fundamentalen Rolle steht sie am Beginn eines tiefgreifenden Wandels. Die Industrialisierung revolutioniert das Bauwesen und hebt die Produktivität auf ein neues Niveau. Besonders serielle und modulare Bauweisen, die sich durch ma-schinelle und präzise Vorproduktion im Werk auszeichnen, bieten innovative Antworten und vielversprechende Lösungen für die anhaltende Baukrise. Aufgrund solcher innovativen Lösungen ist mit einer Zunahme von Firmenübernahmen und Fusionen in der Baubranche zu rechnen.

Auf der einen Seite steht die Baubranche vor enormen Herausforderungen: Explodierende Baukosten, bürokratische Hürden, Materialengpässe und Fachkräftemangel treffen auf eine stark sinkende Nachfrage, bedingt durch gestiegene Zinsen. Gleichzeitig bleibt die Produktivität der Baubranche weit hinter den Erwartungen zurück, und Megatrends wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit stecken noch in den Kinderschuhen. Es ist erstaunlich, wie viele Baustellen seit über 30 Jahren nahezu unverändert organisiert sind und wie viel Potenzial dabei verloren geht. Auf der anderen Seite steht der aktuellen Krise, insbesondere der Einbruch im Wohnungsbau, eine eigentlich ungebremste Nachfrage gegenüber.

Mit der neuen Rahmenvereinbarung 2.0 des Spitzenverbands der Wohnungswirtschaft GdW, die im Herbst 2023 vorgestellt wurde, kommen 25 innovative Wohnungsbaukonzepte für serielles und modulares Bauen auf den Markt. Gleichzeitig verfolgt die Bundesregierung das ambitionierte, aktuell nicht zu realisierende Ziel, jährlich 400.000 Wohnungen zu bauen (Quelle: Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen). Die Industrialisierung in Kombination mit der Digitalisierung bietet hierfür Lösungen, wie die Restaurierung des Sydney Opera House beispielhaft zeigt. Bei der Planung und Umsetzung wurde erfolgreich Virtual Reality eingesetzt (Quelle: Architecture, Au). Für gut aufgestellte Unternehmen eröffnen sich in dieser Krisensituation zahlreiche Chancen zur nachhaltigen und zukunftsfähigen Neuausrichtung.

Vom Handwerk zur Industrie: Die neue Ära der Bauproduktion

Während andere Wirtschaftsbereiche, wie das verarbeitende Gewerbe mit plus 90% oder die Gesamtwirtschaft mit plus 45%, in den vergangenen drei Jahrzehnten ihre Arbeitsproduktivität stetig steigern konnten, zeigt sich im direkten Vergleich ein gegenläufiger Effekt für die Baubranche mit einem Rückgang von 4,2% (Quelle: Bauindustrie). In Sachen Produktivität hinkt die Baubranche damit deutlich der Gesamtwirtschaft hinterher. Viele Bauunternehmen, selbst größere Mittelständler mit über 100 Mio. € Umsatz, sind heute im Kern immer noch als „Manufaktur“ organisiert – ohne dies eigentlich zu wollen. 

Ausgehend von individuellen Bauvorhaben ohne Standardisierung der Produkte, keiner relevanten Arbeitsteilung und nur unzureichendem Einsatz von Maschinen führt dies zu einer hohen Materialeinsatzquote (weil z.B. im Einkauf weniger standardisiert beschafft werden kann), Engpässen in der Fertigung (durch die Fokussierung auf wenige Schlüsselpersonen) und häufig auch zu Qualitätsverlusten. Die Industrialisierung der Produktion erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren der Wertschöpfungskette, wie Planern, Architekten, Ingenieuren, Zulieferern und Handwerkern sowie ein Maximum an Transparenz in den Abläufen (z.B. durch digitalisierte Prozesse). Durch den Einsatz von digitalen Werkzeugen, wie BIM (Building Information Modeling), können nicht nur die Bauvorhaben besser geplant, koordiniert und überwacht werden, sondern der gesamte Lebenszyklus eines Gebäudes, d.h. Planung, Ausführung, Betrieb, Veränderung und Verwertung (bei Ende des Lebenszyklus) optimiert werden. Unternehmen können so schneller auf die Kundenbedürfnisse reagieren (z.B. bei Lieferverzögerungen am Bau), die Qualität der Bauvorhaben verbessern (durch die Reduktion von Planungsfehlern) und die Nachhaltigkeit fördern (durch die Reduktion von Materialverschwendung). Zusammenfassend ermöglicht die Industrialisierung der Produktion es, die Baukosten zu senken, die Bauzeiten zu verkürzen und die Fehlerquote zu reduzieren.

Serielles und modulares Bauen als Ausweg aus der Wohnungsbaukrise

Die Industrialisierung der Produktion eröffnet neue Möglichkeiten für das serielle und modulare Bauen. Serielles Bauen, auch „Prefabrication“ genannt, umfasst die industrielle Vorfertigung kompletter Typengebäude mit hohem Wiederholungsgrad. Modulares Bauen hingegen bezieht sich auf standardisierte Gebäudemodule, die flexibel erweitert, umgestaltet oder demontiert werden können, was die Anpassungsfähigkeit und Lebensdauer der Gebäude erhöht. Beide Methoden nutzen standardisierte, vorkonfektionierte Produkte, die unter kontrollierten Bedingungen produziert und vor Ort montiert werden. Diese Ansätze sparen Zeit, Geld und Ressourcen, bieten Planungssicherheit und adressieren den Fachkräftemangel. Der Hauptnachteil ist die eingeschränkte Individualisierbarkeit für den Kunden. Dennoch stellen serielles und modulares Bauen vielversprechende Lösungen für die Wohnungsbaukrise dar.

Vorreiter bei seriellen und modularen Bauweisen sind insbesondere Nokera, Gropyus, Goldbeck und Tjiko. So hat Nokera in der Baubranche im Jahr 2023 für ein Novum gesorgt und die weltweit größte Gigafactory für Fertighäuser erschaffen. Ziel ist es dabei jährlich mehr als 20.000 vorgefertigte Wohneinheiten vom Band laufen zu lassen (Quelle: Immobilien Zeitung). Dies setzt etablierte und große Bauunternehmen zunehmend unter Druck. Anfang 2023 ist deshalb Deutschlands größter Immobilienkonzern Vonovia beim Modulbauer Gropyus eingestiegen (Quelle: Süddeutsche Zeitung). Auch das bekannte Bauunternehmen Goldbeck hält große Stücke auf das serielle Bauen. Ganz nach dem Lego-Prinzip baut Goldbeck mittlerweile Gebäude, die nur noch zusammengesteckt werden (Quelle: WirtschaftsWoche). So hat Goldbeck innerhalb von 12 Monaten für den Montessori-Verein in Unterschleißheim durch ihre Lego-Bauweise eine Schule gebaut. 2270 Quadratmeter Geschossfläche konnten so in kürzester Zeit witterungsunabhängig fertiggestellt werden (Quelle: Süddeutsche Zeitung). Auch der BayWa-Konzern hält mittlerweile eine Mehrheitsbeteiligung an einem Badmodul-Hersteller namens Tjiko und bietet den Kunden sogar Besichtigungen der industriell gefertigten Raummodule an (Quelle: BaustoffMarkt). Tjiko deckt dabei eine breite Palette an funktionalen und luxuriösen Badmodulen ab, die durch einen 3D-Konfigurator gestaltet werden (Quelle: BaustoffMarkt). 

Ein Beispiel für die modulare serielle Fenstermontage ist das Windowment von Beck + Heun in Zusammenspiel mit dem Fensterbauer TMP. Gemeinsam ist ein Komplettsystem entstanden, das in sich Fenster, Beschattung, Fensterbänke und alle Anschlüsse ringsherum vereint. Das Fenster-Komplettsystem wird vom Bauunternehmen während der Rohbauphase per Baustellenkran direkt in das Mauerwerk eingesetzt. Das Komplettzargen-System entlastet nicht nur die Kapazitäten in der Montage, sondern auch die Mitarbeiter in der Arbeitsvorbereitung. Ein schneller und vereinfachter Bauprozess, verbunden mit einer hohen Planungssicherheit durch die fixen Terminketten sind die wesentlichen Vorteile dieser modularen seriellen Fenstermontage.

Fazit

Die deutsche Baubranche steht vor einem gewaltigen Umbruch. Fachkräftemangel, Nachhaltigkeitsbemühungen, Produktivitätsdefizite sowie eine Vielzahl an Vorgaben aus der Politik und andere externe Einflüsse, bedingt durch die Krisen unserer Zeit, machen klar, dass sich etwas ändern muss. Es zeigt sich, dass das Netz der Herausforderungen und Chancen dabei sehr eng gestrickt ist. Durch die aktuelle Krise sind von Dezember 2022 bis Januar 2023 die Gesamtinsolvenzen in der Baubranche um 30% gestiegen. Zusätzlich setzt die Industrialisierung die Unternehmen zunehmend unter Druck neue Strategien zu entwickeln. Um sich als Unternehmen in der Bauindustrie zukunftsfähig aufzustellen, werden deshalb Firmenzukäufe und -fusionen insbesondere im Bereich serieller und modularer Bauweisen immer bedeutender. Sehr einleuchtend zeigt dies das Beispiel des Einstiegs von Vonovia als Hauptinvestor bei Gropyus auf. Problematisch ist dabei jedoch die mangelnde Erfahrung im Bereich Mergers & Acquisitions in der Baubranche. Nur 20% der deutschen Bauunternehmen haben bereits Erfahrung mit Firmenzukäufen oder Fusionen (Quelle: Deal-Magazin). 

Die Industrialisierung des Bauwesens wurde in den letzten Jahren vorwiegend durch Start-ups vorangetrieben, die aber zunehmend von den großen Playern aufgekauft werden, um sich zukunftsfähig aufzustellen. Auch für Mittelständer ist es entscheidend, Innovationsgeschick und ein Händchen für die Industrialisierung zu zeigen, da eine deutliche Konsolidierung in der Bauwirtschaft schon im Gange ist.

Herausforderungen werden zu Chancen, wenn sie richtig angegangen werden. Die enge Verstrickung und gegenseitige Bedingung der einzelnen Problemstellungen erfordern dabei eine holistische Herangehensweise. Wer aber mit einem klaren strategischen Zielbild im Blick, einen konsequenten Fokus auf die Industrialisierung und damit verbundene innovative Lösungen, wie beispielsweise das serielle und modulare Bauen setzt und die zunehmende Konsolidierung im Markt im Blick behält, dem stehen alle Türen für eine nachhaltig erfolgreiche Zukunft in der Bauwirtschaft offen. 

Erschienen in: BaustoffMarkt-Magazin 10/2024

Autor

Moritz Weissman

Geschäftsführender Gesellschafter
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