Coronakrisenmanagement steht für Familienunternehmen derzeit ganz oben auf der Prioritätenliste. Moritz Weissman, Chef der Beratung Weissman & Cie. weiß, dass schwere Entscheidungen anstehen und wie man sie angeht.
Herr Weissman, Anfang des Jahres gab es noch positive Konjunkturaussichten, wen trifft der Corona- Shut down nun besonders?
Weissman: Corona und der Shut-Down treffen jetzt insbesondere die Unternehmen, die bereits Schwierigkeiten hatten, mit besonderer Wucht. Man konnte sich aber auf das plötzliche, nahezu komplette Runterfahren eines Betriebes nicht vorbereiten. Viele Unternehmen, aus meiner Sicht der Großteil des deutschen Mittelstandes, sind in einer Sondierungsphase. Je abhängiger sie von internationalen Lieferketten sind, also von Vorprodukten aus dem asiatischen aber auch aus dem süd- oder osteuropäischen Raum, desto größer ist die Unsicherheit. Ich unterscheide in drei Gruppen. Es gibt eine kleine Gruppe, die ist bereits mit voller Wucht existenzbedrohend getroffen. Es gibt eine große Gruppe, die ist am Sondieren und Aufbauen von Gegenmaßnahmen und dann gibt es einige wenige Unternehmen, die nicht berührt sind oder sogar profitieren. Spannend wird daher die Frage sein, wie es mit Corona weitergeht, denn auch nach der gesundheitlichen Pandemie wird es starke wirtschaftliche Auswirkungen geben.
Wie aktuell sind denn innerbetriebliche Notfallpläne für akutes Krisenmanagement?
Weissman: Ich glaube, Familienunternehmen sind bei Notfallplänen, Vertretungsregeln und Ähnlichem oft nicht so gut aufgestellt. Ich erlebe aber in der Praxis keinen Engpass. Nur weil der Chef oder Führungskräfte in Quarantäne sind, können sie ja trotzdem telefonieren oder an Webmeetings teilnehmen. Die Arbeit im Homeoffice war für viele Unternehmen ein Sprung, das ist ein positiver Effekt. Wir werden in Zukunft ein anderes Arbeitsverhalten kennenlernen. Aber noch einmal: Mit dem unternehmerischen Notfall, dass eine Lieferkette komplett wegbricht, dass Kundenzugänge nicht möglich sind, dass Reisen nicht möglich sind – damit hat keiner gerechnet. Meines Wissens tauchen in keinem Notfallplan und keinem Risikomanagement Epidemien oder Pandemien auf. Die stehen bei gängigen Risikolisten auf Platz 15 bis 20 auf, üblicherweise haben Unternehmen nur die Top Five oder Top Ten-Risiken im Blick.
Wird das Finanz- und Liquiditätsmanagement jetzt zur Überlebensfrage?
Weissman: Die Oberregel in Krisenzeiten ist immer Liquiditätssicherung: Cash ist King. Wenn Ihnen das Geld ausgeht, dann haben Sie verloren. Das sieht man auch beim gegenwärtigen Run auf Kredite und Hilfsgelder von LfA, KfW oder den Hausbanken. Unternehmen müssen jetzt einerseits ihre Vorprodukte sichern und durch Hygienemaßnahmen und getrennte Schichten die Produktionsfähigkeit gewährleisten. Andererseits muss auf der Absatzseite sichergestellt werden, dass die Produkte zum Weiterverarbeiter oder Endkunden kommen.
Wie viel Potenzial steckt in der Möglichkeit, der Fertigung auf jetzt besonders nachgefragte Produkte umzustellen?
Weissman: Da muss man von Fall zu Fall schauen. Generell gibt es immer Möglichkeiten kurzfristig andere Dinge zu machen, das zeigen umtriebige Unternehmer. Aus Studien wissen wir, dass die größten Innovationen in oder nach einer Krise entstanden sind. Die Leute werden plötzlich kreativ und denken an Dinge, an die sie vorher nicht gedacht haben.
Die Anforderungen in der Corona-Krise sind hoch, müssen Führungskräfte auch anders lenken?
Weissman: Aus meiner Sicht ist die Kommunikation gerade entscheidend. Es geht um eine regelmäßige und klare – auch bei unangenehmen Themen deutliche – und adressatengerechte Kommunikation. Da sind die Führungskräfte stark in der Pflicht, weil viele Mitarbeiter Ängste und Sorgen haben. Je klarer auch unangenehme Themen bis hin zu Entlassungen kommuniziert werden, umso mehr Ruhe wird im Betrieb geschaffen. Teils ist es so wie in der Politik mit den unentscheidbaren Entscheidungen – da gibt es kein richtig oder falsch. Hier ist der Mittelstand prädestiniert, weil er eine Kultur der Entscheidungen und Verantwortung hat. Abzuwarten, bis wir wissen, wie es wird, kann uns nicht helfen.
Wird die Kommunikation beim Führen auf Distanz schwieriger?
Weissman: In kleineren Strukturen lassen sich solche Themen über Videokonferenzen oder zumindest Telefonkonferenzen durchführen. Bei Belegschaften mit 2000 Mitarbeitern ist eine Information per Mail vielleicht eher das Mittel der Wahl. Man kann auch die Beschäftigten mit Videobotschaften vom CEO auf dem Laufenden halten und live auf Rückfragen der Mitarbeiter reagieren. Das ist technisch kein Problem, sondern eher eine Kulturfrage.
Wie wichtig ist es, die Mitarbeiter mit allen Hilfstools so lang wie möglich an Bord zu halten?
Weissman: Alles, was in Bezug auf Kosten nicht notwendig ist, sollte man sofort mit aller Konsequenz stoppen. Alles was die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens ausmacht, Transformationsprogramme, Innovationen und wichtige Mitarbeiter würde ich solang finanziell möglich irgendwie behalten. Den Fehler habe ich 2008 und in den Folgejahren bei der Finanzmarktkrise miterlebt: Viele Unternehmen haben innerhalb kurzer Zeit extrem gespart. Dafür haben sie dann Jahre gebraucht, ihre alte Wettbewerbsfähigkeit wieder zu erreichen. Es wird eine Zeit nach Corona geben.
Werden wir in der Zeit nach Corona – wann immer das ist – neue Ansätze bei der Beschaffung sehen?
Weissman: Das ist gut möglich. Viele Unternehmen werden ihr Lieferantennetz weltweit neu bewerten. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass wir von der Globalisierung abrücken. Unternehmen werden aber ihre Lieferketten neu überdenken und vielleicht einen Zweit- oder Drittlieferanten mit aufnehmen. Mit Lieferanten in Fernost und Südamerika wäre man für eine Pandemie besser aufgestellt gewesen. Nach dem Ausfall von China wird dort nun die Produktion wieder hochgefahren, dafür hätte Südamerika bislang liefern können. Diese Risikostreuung für die nächste Pandemie wird Geld kosten. Eine Gegenreaktion nach dem Vorbild von Trumps Amerika First ist ein Trugschluss.
Wird die wichtigste Lektion aus der Corona-Pandemie nicht eine höhere Resilienz und Widerstandskraft im eigenen Betrieb sein?
Weissman: Hundert Prozent Zustimmung. Wir hatten jetzt zehn Jahre Hochkonjunktur und haben bis dato vier bis sechs Wochen Probleme. Die Unternehmen, die es jetzt schon so hart trifft, dass sie kurz vor der Insolvenz stehen, hatten keine Bestrebungen oder Möglichkeiten, Reserven aufzubauen. Da bin ich etwas verwundert. Die Politik muss jetzt das rechte Maß bei Krediten und Haftungsübernahmen finden. Wenn wir es da überreizen, bekommen wir als nächstes wieder eine Bankenkrise.
Von Thomas Tjiang
Erschienen in: Wirtschaftszeitung, 24.04.2020