„Vertrauen ist in einer digitalen Welt die Kernwährung.“ – Geschäftsführer Moritz Weissman kommt in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (23.10.2016) zum Thema Share Economy zu Wort. Der Artikel „Die Ökonomie des Teilens“ beleuchtet den großen Wirtschaftszweig, der aus der Idee des Teilens statt Besitzens entstanden ist.
Vor vier Jahren begann in Deutschland der Hype um die Share Economy mit dem Versprechen von mehr Nachhaltigkeit und bewussten Konsum. Inzwischen ist aus der Idee des Teilens ein großer Wirtschaftszweig entstanden.
Mähdrescher oder Melkmaschine, Bohrer oder Bücher, Autos oder Wohnungen – um etwas nutzen zu können, muss man es nicht besitzen. Jedenfalls nicht dauerhaft. Immer mehr Menschen wollen Dinge nicht mehr haben, sondern an ihnen teilhaben. Es geht ihnen nicht um Eigentum, sondern um Zugang zu Dingen und Dienstleistungen. Stichwort: Share Economy. Der Verbraucher kauft nicht, er leiht – von anderen Verbrauchern oder Unternehmen. Der wichtigste Pluspunkt: Die Kosten werden geteilt. „Auf diese Weise können teure Güter wie Autos, Schmuck, Wohnungen oder Maschinen auch von Verbrauchern oder Betrieben genutzt werden, die allein sich diese nicht leisten können oder wollen“, so Moritz Weissman, Geschäftsführer von Weissman und Cie, einer Beratungsfirma für Familienunternehmen.
Alte Geschäftsmodelle verschwinden, neue entstehen
Die Idee hat Kraft – zerstörerische und schöpferische. Alte Geschäftsmodelle verschwinden, neue entstehen. Die Autoindustrie verkauft weniger Autos, Carsharing- Unternehmen boomen ebenso wie Fahrradverleih-Betriebe, die Otto Group verkauft Fernseher nicht mehr nur, sie verleiht sie auch. Und muss man elegante Kleider oder sündhaft teure Schuhe, die höchstens ein- oder zweimal im Jahr getragen werden, im Schrank haben? „Nein“, sagt Nina Blasberg. Die 28-jährige Kölnerin hat deswegen vor zwölf Monaten zusammen mit einer Freundin eine Firma gegründet: Myon belle verleiht Kleidung und Accessoires. Rund 15000 Stücke stehen zur Auswahl. „Vor allem außergewöhnliche Sachen, die sich viele Frauen sonst nicht leisten könnten“, sagt Nina Blasberg. Über 2000 Kunden ordern regelmäßig bei ihr. Bei ihrer Fashion-Flatrate „All you can wear“ für 49 Euro im Monat können die Kundinnen die Kleidung so lange behalten wie sie wollen. Schicken sie sie zurück, bekommen sie eine neue Box mit neuen Stücken. Für die Gründerin ist klar: „Mode teilen, nicht besitzen – das ist die Zukunft.“
Mit Share-Economy-Angeboten lässt sich gutes Geld verdienen. Handwerker nutzen Portale wie MyHammer, selbständige Reinigungskräfte Online-Marktplätze wie Helpling. Laut dem Institut für Mittelstandsforschung ist im B2C-Bereich einer der größten Vorteile der „Wirtschaft des Teilens“ die Möglichkeit, Angebote online zu machen, die bisher dem stationären Handel vorbehalten waren. Herkömmliche Anbieter können, so macht Moritz Weissman ihnen Mut, „ihr oft über Jahrzehnte erworbenes Knowhow als Trumpfkarte auch in der Share Economy nutzen“. Im Mobility-Bereich beispielsweise können Autohersteller und -händler zu Anbietern von Mobility Solutions werden. Jeder Mittelständler müsse sich fragen: Kann ich meinen Kunden, um sie nicht zu verlieren, jetzt attraktive alternative Angebote machen? Weissman: „Im härtesten Fall muss ich mein bisheriges Kerngeschäft aufgeben und in neue Geschäftsfelder investieren.“ Der Mittelstands-Berater ist überzeugt, dass starke Marken ihre Bedeutung behalten werden: „Eine Marke schafft Vertrauen in das Angebot, ist ein Qualitätsversprechen.“ Airbnb oder DriveNow beispielsweise hätten es geschafft, dass es „cool“ sei, sie zu nutzen. „Vertrauen ist in einer digitalen Welt die Kernwährung.“ Im B2B-Bereich könnten durch Share Economy nun auch kleinere Betriebe „auf einen größeren Ressourcenpool zugreifen“. Coworking-Spaces, Cloud-Computing oder das Ausleihen von Betriebsmitteln helfen, Kosten zu senken „und über die gemeinsame Bündelung von Aufgaben auch Skaleneffekte zu erzielen“. Existenz gründen werde leichter, wachse ebenfalls.
Der Wunsch nach mehr Flexibilität
Auch auf dem Arbeitsmarkt wird zunehmend geteilt. Immer öfter bewerben sich zwei Kandidaten zusammen auf eine Stelle. Man teilt sich die täglichen acht, neun oder zehn Stunden Büro. Eine eigene Jobplattform dafür entwickelt hat 2013 das Berliner Start-up Tandemploy. Über das Portal werden Menschen zusammengebracht, die sich eine Vollzeitstelle teilen möchten, und an Unternehmen vermittelt, die für Jobsharing offen sind. Noch früher hat Thorsten Becker die Zeichen der Zeit erkannt: Der gebürtige Frankfurter gründete vor 16 Jahren die Management Angels, eine Agentur für Manager auf Zeit. Auslöser war die Tatsache, dass schon damals sowohl bei Arbeitgebern als auch bei Führungskräften der Wunsch wuchs, flexibler agieren zu können. Warum muss ich einem Manager einen unbefristeten Arbeitsvertrag geben, wenn ich ihn nur acht Monate beschäftigen möchte? Ist es nicht wirtschaftlich sinnvoller, das Wissen einer Führungskraft nur für eine bestimmte Dauer zu nutzen? „Natürlich“, sagt Becker. „Man muss doch Ressourcen nicht vorhalten, wenn man sie nicht unmittelbar braucht.“ Im Übrigen könne ein Unternehmen von einem Interim Manager viel lernen, „denn Wissen vermehrt sich, wenn man es teilt“. Frischer Wind weht durchs Haus, Kreativität entsteht. Wertschöpfung durch Offenheit, Flexibilität und Teilen steht im Gegensatz zum klassischen Taylorismus, der eine Zerstückelung der Arbeit in kleinste Einheiten propagiert, für deren Bewältigung keine komplexen Denkvorgänge benötigt werden. Becker betont, dass das Teilen von Arbeitskraft und von Managerwissen gut organisiert sein muss. Das übernehmen Interim Management-Provider wie er, „die die passende Führungskraft für ein Projekt finden“.
Das Internet ist entscheidend
Mehr Transparenz durch das Internet und Lockerungen des in Deutschland historisch starren Arbeitsrechts haben Leiharbeit und Interim Management gefördert. „Außerdem hat das Ineinandergreifen verschiedener Technologien Share Economy heutiger Prägung möglich gemacht“, erläutert Thorsten Becker. Das betont auch Moritz Weissman: „Ohne das Internet bliebe das Teilen allenfalls Nachbarn vorbehalten.“ Er ist überzeugt, dass Share Economy auch volkswirtschaftlich gesehen unterm Strich sinnvoll ist: „Das Geld, das der Einzelne spart, weil er den Rasenmäher oder Bohrer nicht kaufen muss, wird an anderer Stelle ausgegeben, das Gesamtbruttoinlandsprodukt also nicht sinken, sondern nur anders erwirtschaftet.“
Erschienen in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 23.10.2016