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Blog-Artikel

„Wir sind im Moment nur noch reaktiv“

Wenn die Arbeitsflut nicht mehr in den Griff zu bekommen ist

Themen in diesem Artikel

Ein Kunde kämpft im Alltagsgeschäft nur noch mit Unerledigtem: ungelesene, unbeantwortete Mails, Erinnerungen, Nachfragen, offene Telefonate und Termine, die nicht wirklich vorbereitet sind. Zeitliche Fristen können nicht mehr gehalten werden. Kunden werden zunehmend unzufrieden, melden sich verstärkt, bauen Druck auf oder springen sogar ganz ab. Mitarbeiter werden unzureichend „abgefertigt“ und können entsprechend an sie delegierte Aufgaben weder in der geplanten Zeit noch in der gedachten Qualität erledigen. Mit der Zeit machen sich totaler Frust, ja Angst bei allen Beteiligten breit.

Man könnte meinen, da sei jemand unorganisiert und undiszipliniert, habe sein Zeitmanagement nicht im Griff. Doch was steckt wirklich dahinter?

Grundsätzlich sollten zwei Ebenen funktionieren:
die Unternehmensseite und die individuelle Seite

7-3-1 sind die zeitlichen Dimensionen, die ein Unternehmen planen, betrachten, erarbeiten kann und sollte. Das heißt das strategische Zeitfenster braucht eine langfristige Dimension: 7 Jahre. Lange genug, um Strategien in Szenarien, Optionen und grundlegenden Plänen durchzudenken. Nach Festlegung der grundsätzlichen strategischen Richtung ist in der 3-jährigen Mittelfristplanung die nächste Konkretisierungsebene zu definieren und auch umzusetzen. In der Jahresplanung erfolgt dann entsprechend der nächste Detaillierungsgrad. Dieser Rahmen bildet das Grundgerüst für den Alltag.

6-1-1 sind die zeitlichen Ebenen, die als Grundstruktur auf der operativen, individuellen Ebene tragfähig sind. Eigentlich lernt jeder Azubi diese Grundregel: was steht in 6 Wochen an, in der Arbeitswoche, am Arbeitstag. Würde diese Rahmenplanung konsequent auf den Tag heruntergebrochen, dann hätte jeder einen wunderbaren Überblick über seine produktive Zeit und einen Überblick über freie Zeitfenster, die man braucht, um auf Ungeplantes reagieren zu können.

Der eigentliche Alltag ist typischerweise durch das bestehende Geschäftsmodell, die gelebte Wertschöpfungskette im Unternehmen geprägt. Hier kommen gedachte Theorie, gelebte Praxis und persönliche Vorstellungen zusammen oder kollidieren. Pläne werden im besten Fall verschoben, im schlechtesten Fall gekippt, neu aufgesetzt – und das auf jeder zeitlichen Ebene. Wird dies kommuniziert, kann man reagieren; fehlt die Kommunikation, läuft man in echte Arbeitsfallen, wie z.B. dass Arbeitsaufträge für die Schublade produziert werden. Das führt zu enormen Frust, insbesondere junge motivierte Mitarbeiter werden demotiviert.

Handeln um des Handelns willen

Der spannendste Teil des Handelns ohne Plan – das Verzetteln – ist, dass man die Möglichkeit zu entscheiden verliert. Aktives Entscheiden bedingt immer ein Durchdenken, ein Auseinandersetzen, ein Definieren, was man will, was man nicht will, ein Erkennen und Berücksichtigen von Kriterien, die für andere relevant sind. Letztlich bestimmt man so immer wieder das eigene Vorgehen. Nutze ich nicht meine Entscheidungsmöglichkeiten, bleibe ich passiv, dann ist auch das eine Entscheidung. Ich setze mich mit den Entscheidungen anderer auseinander. Meine Passivität löst Aktivität anderer aus. Manchmal wahrnehmbar, oft nicht erkennbar. Eine verfahrene Situation wird dabei immer weniger handhabbar.

Sowohl die 7-3-1 Ebene als auch die 6-1-1 Ebene können gut oder weniger gut genutzt werden. Woran genau liegt das? Was genau bietet mir das Unternehmen diesbezüglich? Sind diese beiden Ebenen Teil der Unternehmenskultur? Sind sie Arbeitsmethodik und mit Unternehmenswerten verknüpft? Sind sie gelebte Realität, vielleicht sogar ungeschriebenes Gesetz? Dann ist das ist ein echtes Asset. Selbstverständlich drohen in der Handhabung im Alltag auch Gefahren und Risiken, wenn Instrumente und Methoden überzogen oder dogmatisch genutzt werden. Dieses Themenfeld wird hier außen vor gelassen. Vielmehr sehe ich hier eine Führungsaufgabe zu reflektieren, ob Methoden genutzt werden und funktionieren. Einmal etabliert, bedeutet nicht, dass es in Stein gemeißelt ist, sondern immer wieder hinterfragt werden sollte.

Welche Bedeutung hat die persönliche Ebene? Alles – sie ist Ursache und Lösung zugleich.

Wenn man die Persönlichkeit (nur) mit den beiden Arbeitsmethodiken (7-3-1 und 6-1-1) zusammenbringt, wird es interessant. Jeder Mensch hat seine eigenen Antreiber, seine eigene Motivstruktur – eine Persönlichkeitsanalyse gibt hier viele Antworten.

Aus meiner Erfahrung ist der Antreiber um Anerkennung derjenige, der die eingangs beschriebene Konstellation massiv verstärkt. „Ich will gefallen“, „ich will geliebt werden“, „ich will wahrgenommen werden“ – das kann so überlebenswichtig werden, dass das Verhalten im Alltag bewusst und i.d.R. unbewusst danach ausgerichtet wird. Dann braucht man die morgendliche Begrüßungsrunde, die Kaffeepause in der Kantine, die Raucherecke, den Thekenplausch, das Verharren in Besprechungen, um emotional zu überleben. Leider geht dabei oft das Gefühl für das zeitliche Maß verloren. Das Anerkennungsbedürfnis ist noch nicht befriedigt, das Gegenüber äußert erst sanft, dann immer deutlicher seine Grenze. So bauen sich viele kleine negative Spiralen auf und addieren sich.

Persönliche Eskalationsschleife

Ein permanentes Reagieren auf Unerledigtes im Kleinen und im Großen führt dazu, dass man einen elementaren Mechanismus vernachlässigt, vielleicht sogar verliert: die Selbstwahrnehmung, etwas geschafft, etwas geleistet zu haben. Wir haben dies als Kinder gelernt und vielfach genutzt. Das erste Umdrehen, das erste Wort, das erste Laufen, das erste Bild – all das hat Begeisterungsstürme ausgelöst. Auf der einen Seite spüren wir die Begeisterung, die Freude, den Stolz im Außen, im Gegenüber und lernen dadurch, diese Emotionen in uns selbst zu spüren und auf uns selbst zu beziehen. Dieser Basismechanismus geht, wenn er nicht weiter genutzt wird, leider verloren. Gerade in der Überforderung merken viele nicht mehr, was sie gerade noch leisten.

Ganz häufig kommt zur verlorenen Selbstwahrnehmung noch ein sehr hinderlicher Antreiber dazu: „Ich will mir nicht helfen lassen. Das schaffst du schon. Reiß dich endlich zusammen. Nimm dich nicht so wichtig. Bin ich es eigentlich wert, dass man mir hilft?“

Dreht man dies ins Außen, so stellt man fest, dass diejenigen, die sich selbst nicht helfen lassen, am liebsten anderen helfen. Jetzt trifft man auf die Kombination: es hilft jemand, der dies nur bedingt kann. Weil er keine Zeit hat, sich tief genug mit etwas zu beschäftigen, kann er nicht wirklich helfen. Ihn als Diskussionspartner zu haben, heißt, ihn erst einmal mit dem Thema vertraut zu machen, dafür fehlt wieder die Zeit. Oft wird jemand, der in einer solchen Überforderungsschleife ist, abgelehnt. Anerkennung bleibt noch mehr aus. Das innere ungute Gefühl eskaliert bis in die Angst zu versagen. Wie soll man jetzt aus dieser lähmenden Konstellation wieder herauskommen?

Wieder ins Tun kommen

Manche schaffen jetzt selbst eine Art Reset: den Schreibtisch frei räumen, alles grob strukturieren, neu priorisieren und dann konzentriert und konsequent „abarbeiten“, abtauchen – keine Störungen für ein bestimmtes Zeitfenster von außen zulassen, und immer wieder merken, was geleistet wurde. Der Stolz über das Tun kommt wieder, ebenso der Stolz über das Ergebnis und man kann sich selbst wieder spürbar aufladen.

Manche schaffen dies nur mit Unterstützung. Im Coaching kann man die Gefühlsebene sehr gut nutzen, die elementaren Gefühle Angst, Verzweiflung, Sorge wahrnehmen und im individuellen Prozess ändern. Hier gibt es eine Vielzahl an Interventionen. Eine sei genannt: Angst in Pakete zerteilen, handhabbar werden lassen, Fähigkeiten finden, Zieloptionen entstehen lassen, Möglichkeiten suchen, Wertebasis aufsetzen, erste Schritte entwickeln, das Starten auslösen.

Letztlich geht es nämlich darum: persönliche Blockaden wahrzunehmen, Bedürfnisse zu befriedigen, den Überblick zu bekommen, wieder Herr und Frau der Lage zu werden, Schritt für Schritt das Richtige tun, weil es sich gut und richtig anfühlt. Dies alles ist ein Prozess. Er braucht Zeit und Geduld. Wenn man für sich in einer solchen Situation akzeptiert, dass der Weg das Ziel ist, dann wird es mehr und mehr Situationen geben, die man erfolgreich meistert. Auf diesem Weg wird es sicher auch Hindernisse geben, vielleicht auch Schritte zurück. Das zu akzeptieren fällt schwer, gehört auch dazu. Und wenn man im Rückblick, darauf stolz ist, auch Rückschritte geschafft zu haben, gegebenenfalls Lösungsmöglichkeiten genutzt zu haben, die eigentlich nicht offensichtlich waren, dann hat man für sich wirklich etwas gelernt – für die nächste Lebensphase.

Autor

Lisa Ahrweiler-Weissman

Senior Projektleiterin
Lisa Ahrweiler-Weissman
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