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Blog-Artikel

Krise trotz voller Auftragsbücher?

Wie Unternehmen in fünf Schritten ins Handeln und aus der Krise kommen

Julian Vögele | Krise trotz voller Auftragsbücher
Julian Vögele | Krise trotz voller Auftragsbücher

Viele deutsche Familienunternehmen stehen vor einer paradoxen Situation: Die Auftragsbücher sind prall gefüllt, doch statt Wachstum und Sicherheit erleben sie eine echte Krise. Steigende Energiekosten, hohe Löhne und zunehmender Wettbewerbsdruck setzen vor allem produzierende Unternehmen massiv unter Druck. Doch in vielen Fällen ist nicht die Nachfrage das Problem – sondern die eigene Effizienz, welche lange Zeit versucht wurde, über Wachstum zu kompensieren.

Die Herausforderung: Volle Auftragsbücher bei sinkender Profitabilität

Gerade in der Konsumgüterbranche erleben wir aktuell eine brisante Entwicklung: Unternehmen können ihre Aufträge nicht effizient abwickeln. Die Folgen sind fatal: verspätete oder unvollständige Lieferungen, Qualitätsprobleme und unzufriedene Kunden. Besonders im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) wird dies zum doppelten Risiko. Viele Produkte sind verderblich oder saisonabhängig. Nicht gelieferte Waren können nicht verkauft werden – und damit bleiben auch Nachbestellungen aus.
 
Und auch externe Partner wie Logistikunternehmen sind getaktet und drohen mit Straf- und Leerzahlungen, wenn Liefertermine nicht eingehalten werden. Das Gefährlichste aber: Kunden beginnen, sich aktiv nach Alternativen umzusehen. Jahrzehntelange Partnerschaften stehen auf dem Spiel, und Kunden realisieren erst jetzt die Abhängigkeit, die sie haben und suchen sich neue Lieferanten.
 

Die Gefahr des „Wir schaffen das schon irgendwie“-Denkmusters

Immer wieder treffen wir auf Unternehmen, die die Dringlichkeit der Lage unterschätzen. Aussagen wie „Ein neues ERP-System? Zu teuer“ oder „Prozessoptimierung? Brauchen wir nicht, wir sind doch kein Konzern“ zeigen, dass viele Unternehmen sich zu lange auf alte Strukturen verlassen haben.
 
Doch genau diese Denkweise führt in eine Sackgasse. Die gute Nachricht: Die Situation ist häufig hausgemacht – und damit auch lösbar. Unternehmen, die sich jetzt aktiv mit ihren internen Prozessen und Verantwortlichkeiten auseinandersetzen, haben die Chance, aus eigener Kraft wieder auf Kurs zu kommen und massiv Kosten zu senken.
 
Entscheidend dabei ist die Markt- und Kundenentwicklung. Denn bei vielen Unternehmen beobachten wir, dass die Nachfrage stabil bleibt. Ist dies der Fall, können Unternehmen mit den rich-tigen Hebeln ihre Effizienz steigern und ihre Zukunft eigenständig sichern. Andernfalls – wie aktuell bei vielen Automobilzulieferern zu beobachten – sollte das eigene Geschäftsmodell dringend hinterfragt werden. Kostenoptimierung und Effizienzsteigerung sind dann oft nur ein Hinauszögern des Problems.

Im weiteren Verlauf wollen wir uns auf die Unternehmen fokussieren, deren grundsätzliches Geschäftsmodell stabil ist.
 

Die ersten Schritte aus der Krise

1. Prozessanalyse: Den Blick auf das Wesentliche richten 
 
Der erste Schritt ist eine systematische Analyse der eigenen Prozesse. Hier geht es nicht darum, jedes Detail auf granularer Ebene zu dokumentieren und zu hinterfragen, sondern vielmehr die wesentlichen Kernprozessschritte zu identifizieren:
 
  • Welche Arbeitsschritte sind notwendig?
  • Wer ist involviert?
  • Welche Abläufe sind manuell und wo gibt es Reibungsverluste?
  • Wo treten häufig Abstimmungsprobleme auf?
  • Wo entsteht der größte Aufwand und damit die höchsten Kosten?
Praxisbeispiele zeigen, dass oft Aufträge liegen bleiben, weil es an Übergabepunkten keine klaren Verantwortlichkeiten gibt oder Sonderfälle nicht ausreichend definiert sind. Beispielsweise kann es passieren, dass eine Bestellung von der Produktion nicht freigegeben wird, weil zwei Abteilungen sich uneinig sind, wer die endgültige Freigabe erteilen soll.
 
Zudem gibt es in vielen Unternehmen Prozessschritte, die nicht mehr notwendig sind, aber weiterhin ausgeführt werden. Das können doppelte Freigaben, unnötige Analysen oder manuelle Dateneingaben sein, die durch eine automatisierte Lösung ersetzt werden könnten.
 
Auch das Zusammenspiel mit externen Partnern ist ein kritischer Faktor: Unklare Schnittstellen mit Logistikdienstleistern oder Labordienstleistern führen häufig zu Verzögerungen. Ein typisches Beispiel ist eine Warenausgangsverzögerung, weil externe Labore nicht rechtzeitig Prüfberichte liefern oder Speditionen kurzfristig Kapazitäten abbauen. Übergreifend lässt sich über Prozessschritte einfach aufzeigen, an welcher Stelle der größte Handlungsbedarf besteht.
 
2. Relevante Kennzahlen festlegen 
 
Der zweite Schritt ist die Definition relevanter Kennzahlen (KPIs). Auch wenn viele Unternehmen sich in der Erhebung noch schwertun, muss ich immer wieder daran appellieren, dass ohne Messwerte jede Optimierung ein Blindflug bleibt. Wichtig ist es hier nicht der Regel „viel hilft viel“ zu folgen, sondern passende und verdaubare Größen zu definieren. Die Gefahr besteht häufig, auch hier zu kleinteilig vorzugehen und zu lange zu warten, bis alle KPIs erhoben werden können, anstatt zu starten. Typische Größen können beispielweise folgende sein:
 
  • Durchlaufzeit: Wie lange dauert es vom Auftragseingang bis zur Lieferung
  • Auftragserfüllungsquote: Wie viele Aufträge werden pünktlich und vollständig geliefert
  • Retourenquote: Wie viele Produkte kommen aufgrund von Qualitätsmängeln zurück
  • Kosten pro Auftrag: Wo entstehen unnötige Kosten?
Diese Kennzahlen helfen nicht nur bei der Identifikation von Schwachstellen, sondern sind auch essenziell für die Kommunikation mit Banken und Finanzpartnern. Es kann transparent aufgezeigt werden, über welche Hebel man welche KPIs verbessern will. Wer seine Zahlen nicht im Griff hat, riskiert langfristig seine Finanzierungssicherheit.

3. Gezielte Maßnahmen ableiten und priorisieren
 
Sind die Prozesse, deren Schwachstellen sowie relevante Messgrößen identifiziert, folgt die Überführung in konkrete Maßnahmen. Während bei der Problemerkennung die Motivation häufig groß ist, fällt es vielen Unternehmen umso schwieriger, konkrete und klare Maßnahmen für die Lösung zu definieren. Deshalb ist es wichtig, sich hier ausreichend Zeit zu nehmen und die Zielsetzung der Maßnahme klar zu definieren und in Relation zu den Problemen zu setzen, die identifiziert wurden. Auch gilt es, nicht zu viele Baustellen auf einmal zu eröffnen. Stattdessen sollten die identifizierten Maßnahmen priorisiert und ein klarer Fokus gesetzt werden. Dabei hilft es nach zwei Kriterien zu bewerten:
 
  • Wie hoch ist die Wirkung der Maßnahmen auf die Effizienz?
  • Wie groß ist der Aufwand zur Umsetzung?
Werden diese Faktoren nicht berücksichtigt, passiert oft das Gleiche: Mitarbeiter picken sich die „kleinen“ Themen heraus, während die strategisch wichtigen Punkte unbearbeitet bleiben, oder es wird an endlosen Themen gearbeitet, die nicht den großen Effekt bringen. Und ja, oft kommt an dieser Stelle auch die Diskussion über ein neues ERP-System auf – hätte man es nur früher angepackt!
 
4. Verantwortlichkeiten festlegen und Zwischenschritte definieren
 
Bevor die Umsetzung starten kann, müssen noch klare Verantwortlichkeiten festgelegt und konkrete Zwischenschritte definiert werden. Hier ist es wichtig, dass die Verantwortung auf breite Schultern verteilt wird und nicht die gleichen Personen zu viele Themen treiben. Gleichzeitig müssen die operativen Ebenen in Arbeitsteams mit einbezogen werden, so dass zunehmend das gesamte Unternehmen Teil der Veränderung wird. Mindestens genauso wichtig ist es, die Ziele der Maßnahmen in konkrete Zwischenschritte runterzubrechen und diese mit einer Zeitleiste zu hinterlegen. Nur so kann sichergestellt werde, dass die Themen nicht versanden, Veränderung spürbar und Verantwortung für die Umsetzung übernommen wird.
 
5. Umsetzen und Nachhalten
 
Die meisten Ansätze scheitern an der Umsetzung und gehen im Tagesgeschäft unter. Um genau das zu vermeiden, muss eine regelmäßige Fortschrittsüberprüfung stattfinden und Reviews durchgeführt werden. Dabei ist eine Taktung zu wählen, die das Unternehmen nicht überfordert, jedoch gleichzeitig dafür sorgt, dass ein Umsetzungsdruck verspürt wird. Gerade in der Anfangszeit empfiehlt es sich hier, kurzzyklischer zu verfahren und im Verlauf die Taktung zu verringern. 

Spätestens an diesem Punkt zeigt sich auch, wer im Unternehmen bereit ist, den Wandel mitzugehen – und wer nicht. Widerstände sind normal, doch wenn sich Mitarbeiter dauerhaft gegen notwendige Veränderungen stellen und die Umsetzung blockieren, kann es notwendig werden, personell nachzujustieren.
 

Praxisbeispiel Produktionsunternehmen

Bei einem mittelständisches Produktionsunternehmen standen wir genau vor einem solchen Problem. Liefertermine wurden häufig nicht eingehalten und Nachbestellungen blieben aus. Die Kunden des Unternehmens wurden immer unzufriedener und erste Kunden reduzierten bereits das Abrufvolumen. 

Gemeinsam mit unserem Team durchlief das Unternehmen die fünf Schritte der Optimierung. Wir identifizierten gravierende Stammdatenprobleme an mehreren Stellen, die zu Fehlern in der Produktion und zahlreichen manuellen Nacharbeiten führten. Auch in der Logistik stellten wir aufgrund schlechter Prozesse ungeplante und kosten- sowie zeitintensive Umlagerungen fest, welche den Produktionstermin und damit das Lieferdatum immer wieder verzögerten.  Zudem zeigte sich, dass eine mangelnde Vertriebsplanung dazu führte, dass die Produktion ineffizient arbeitete und unnötige Stillstand- bzw. Umrüstzeiten entstanden. 

Durch eine klare Analyse und konkrete Maßnah-men konnten wir die wichtigsten Hebel adressieren. Zusammen mit der Einführung klarer Ver-antwortlichkeiten, einer besseren KPI-Transparenz und der Automatisierung von Work-flows konnte die Durchlaufzeit nach 12 Monaten um 30 % verkürzt und die Auftragserfüllungsquote deutlich gesteigert werden, was in Konsequenz zu höheren Nachbestellungsquoten und damit auch zu einer Umsatz und Ergebnisverbesserung führte.
 

Jetzt handeln, bevor der Wettbewerb es tut!

Aus diesem Grund rufen wir zu frühzeitigem Handeln auf. Denn viele Unternehmen haben in jetzigen Phase die Situation noch selbst in der Hand. Wer die Symptome ignoriert, verschafft den Kunden eine Steilvorlage den Wettbewerb aufzusuchen. Was mit einem Einbruch der Rentabilität startet, kann schnell bis hin zu einer massiven wirtschaftliche Schieflage führen und den eigenen Handlungsspielraum stark einschränken. Banken verlieren das Vertrauen, Kreditlinien werden gekürzt oder gestrichen, und im schlimmsten Fall droht ein Independent Business Review (IBR) oder gar ein IDWS 6-Gutachten, das eine Insolvenzgefahr feststellt.

Die Krise trotz voller Auftragsbücher ist ein deutliches Signal: Unternehmen müssen jetzt ihre Effizienz steigern, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Die gute Nachricht: Die meisten Probleme sind lösbar, wenn sie systematisch angegangen werden.
Autor

Julian Vögele

Senior Projektleiter
Julian Vögele
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