Welche Herausforderungen mit der Nachfolge in Familienunternehmen verbunden sind, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Und der Übergang von einer Generation auf die nächste ist mit ganz erheblichen Veränderungen verbunden, die erst einmal bewältigt werden wollen – aber neben den Herausforderungen gibt es auch große Chancen, die gerade jetzt mit der Nachfolge verbunden sein können.
Zahlreiche Familienunternehmen stehen im Moment vor einer doppelten Herausforderung. Gut 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gilt es für viele, den Übergang von der dritten in die vierte Generation zu meistern. Natürlich gibt es Familienunternehmen wie die Brauerei Zötler aus dem Allgäu, die weltweit führenden Hopfenspezialisten Barth aus Nürnberg oder die Brauerei Stiegl aus Salzburg, um nur ein paar Beispiele zu nennen, die wesentlich älter sind. Doch auch diese Unternehmen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg quasi neu gegründet und wieder aufgebaut – und deshalb haben sie auch ähnliche Herausforderungen im Bereich der Corporate- und Family Governance.
Gleichzeitig verschieben sich die Geschäftsmodelle in nie gekannter Geschwindigkeit in Richtung Digitalisierung, Datensteuerung, Vernetzung. Unternehmen werden „smart“ – oder es gibt sie morgen nicht mehr. Wir alle werden zu Technologieunternehmen mutieren müssen, wenn wir in Zukunft noch kraftvoll zubeißen wollen.
Der Zugang zum Kunden zählt
In der Welt von morgen zählt nicht mehr der Besitz, sondern der Zugang zum Kunden. Unternehmen wie die großen amerikanischen Plattformen (Amazon, Google, Apple, Netflix, Meta) und ihre asiatischen Pendants (AliBaba, Tencent, JD) haben dies längst zum Kern ihrer Geschäftsmodelle gemacht. Wir in Europa schauen diesen Veränderungen mehr oder weniger tatenlos zu. Doch unter anderem die Entwicklung von Zalando, FlixBus, About You et cetera zeigt: Es ist auch bei uns möglich, wenn Geschäftsmodell und Mindset stimmen.
Unsere lange erfolgsverwöhnten Familienunternehmer haben sich definiert durch Innovation, Produktqualität, Perfektion, Mut zum Wachstum. Dies hat uns zu einer der exportstärksten Nationen der Welt werden lassen, zur Heimat der Weltmarktführer. Nirgendwo auf der Welt gibt es eine solche Dichte an exzellenten, oft weltmarktführenden Unternehmen wie in Deutschland. German Mittelstand wurde zum größten Exportschlager unseres Landes.
Doch leider besagt ein provokantes Sprichwort: „Wen Gott vernichten will, dem schenkt er 30 Jahre Erfolg!“ Natürlich ist dies nicht wörtlich zu nehmen, aber die Aussage ist eindeutig: Wer aufhört, zu wachsen, zu lernen, sich weiterzuentwickeln, den bestraft das Leben (oder der Markt).
Celebrating the Past, pioneering the Future
Dies könnte doch ein Motto für Familienunternehmen sein: „sich traditionserhaltend erneuern“. Stolz auf die Vergangenheit, mutig für die Zukunft; dankbar für das Erreichte, unzufrieden mit der Entwicklung. Darwin hat es uns gelehrt – nur wer sich den verändernden Rahmenbedingungen anpasst, überlebt („Survival of the Fittest“). Veränderungen können evolutionär oder revolutionär (disruptiv) sein – sie werden nur gelingen, wenn neben der richtigen Konzeption und Strategie auch das richtige Mindset kommt. Unsere Haltung, unser Denken bestimmt unser Verhalten. Unser Verhalten prägt unsere Kultur, und unsere Kultur prägt unsere Organisationsstruktur. Fazit: Nur mit dem richtigen Mindset ist wirkliche Veränderung möglich. Und diese ist notwendig, um die herausfordernden Aufgaben in einer sich dramatisch verändernden Welt zu bewältigen.
Disruption im Familienunternehmen – eine „Mission impossible“
Wahrscheinlich werde ich jetzt vielen unserer Leser auf den Nerv treten, wenn ich sage: Eher kommt ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein disruptives Geschäftsmodell in ein erfolgreiches Familienunternehmen. Wenn die Kultur eines Unternehmens über Jahre und Jahrzehnte auf technische Perfektion, höchste Qualität, optimierte Prozesse, erreicht durch standardisierte, hocheffiziente Abläufe aufgebaut ist, wie soll dann eine Kultur des Scheiterns, des Ausprobierens, die Idee des „minimum viable product“ etabliert werden? Dies ist wie Feuer und Wasser – es passt einfach nicht zusammen. Aus diesem Grunde haben viele Familienunternehmen wie Viessmann, Stihl, Kärcher, Krones, Zollner, Uvex, der Müller-Verlag daraus den richtigen Schluss gezogen und ihre „Idea-Labs“, ihre Brutstätten für neue Geschäftsmodelle ausgegliedert und sich auch – man höre und staune – mit Minderheiten an jungen Unternehmen beteiligt: weil sie verstanden haben, dass dies nicht unter einem Dach funktionieren wird. Der große Elefant mit seinem dicken Hintern (= das erfolgreiche, etablierte Familienunternehmen) wird die Fliege (= das innovative, kleine, junge Start-up) an der Wand zerquetschen. Konsequenz: Wenn es nicht gemeinsam unter einem Dach geht, dann eben erfolgreich unter zwei Dächern.
Die Chance der Nachfolger
Genau hier schlägt nun die Stunde der Nachfolger. Warum soll man nicht den Nachfolgern, die als „Digital Natives“ näher an den Themen der Digitalisierung, der Vernetzung, des Teilens („The Sharing Community“) sind, genau diese unternehmerische Aufgabe übertragen? Sie können – ausgestattet mit unternehmerischem Elan und dem notwendigen investiven Kapital – zeigen, was in ihnen steckt. Und sie können Geschäftsmodelle zum Fliegen bringen, die sonst nie vom Boden abgehoben hätten.
Fazit
Dies ist eine Chance, die wir uns nicht nehmen lassen sollten; die beidhändige Organisation zu schaffen, die in der Lage ist, das Beste aus beiden Welten miteinander zu verbinden, um beide Chancen nutzen zu können. Ambidextry, Beidhändigkeit, performant und agil unter einem Dach, mit der Chance der Nachfolger, zu beweisen, dass sie für Größeres in der Lage sind: Dies ist mein Credo für die Familienunternehmen der Zukunft.