Viele Familienunternehmen befinden sich derzeit im Wandel. Ein besonders spannender Trend ist dabei die Transformation von reinen Commodities-Händlern zu Produzenten eigener Produkte. Diese Veränderung ist nicht nur faszinierend, sondern stellt auch den Vertrieb vor neue Herausforderungen.
Gerade in Deutschland steigen die Kosten kontinuierlich, während die Märkte stagnieren oder nur wenig Wachstum zeigen. Für viele traditionelle Handelsunternehmen reicht der reine Handel nicht mehr aus, um rentabel und wettbewerbsfähig zu bleiben. Eine vielversprechende Lösung ist die Erweiterung des Geschäftsmodells von primärem Handel in die fokussierte Weiterverarbeitung der sogenannten Veredelung eigener Produkte. So können höhere Margen erzielt werden und man entwickelt sich von reinen Vermittlern zu aktiven Gestaltern in der Wertschöpfungskette. Ein prägnantes Beispiel hierfür sind diverse Kaffeehändler, die in der Vergangenheit Rohkaffee gehandelt haben und durch den Aufbau einer eigenen Rösterei sowie die Entwicklung individueller Kaffeemischungen eine eigene Marke etablieren und direkt an Endkunden verkaufen konnten.
Vom Handel zur Produktion: Neue Ansprüche an den Vertrieb
Doch der Schritt in die Verarbeitung bringt nicht nur positive Effekte mit sich, sondern auch neue Anforderungen im Vertrieb. Mit der Produktion eigener Produkte ändern sich nämlich die Zielgruppen und damit diverse Anforderungen entlang der Vertriebsstrategie. Statt ausschließlich große industrielle Abnehmer zu bedienen, sprechen veredelte Produkte nun ein breiteres Spektrum an Kunden an, darunter kleine Unternehmen sowie Endverbraucher. Diese Vielfalt erfordert eine differenzierte Ansprache, neue Vertriebskanäle und damit auch neue Vertriebsprozesse und gegebenenfalls eine neue Vertriebsorganisation.
Folgendes konkretes Beispiel soll das verdeutlichen: Ein Unternehmen, das Hopfen handelte, begann plötzlich, eigene Bierbrausets und Hopfenöle zu produzieren. Dadurch erweiterte sich die Kundschaft von großen Industrie-Brauereien hin zu Craft-, Mikro- und sogar Hobbybrauern. Diese Umstellung erforderte eine neue Herangehensweise an die Kundenakquise und -betreuung. Markenwerte rückten verstärkt in den Fokus, was für Großkunden eher sekundär war. Das Geschäft ist viel kleinteiliger, und emotionale Aspekte spielen eine größere Rolle als reine Kosten und Lieferperformance.
Anpassungen im Vertriebsteam und kulturelle Veränderungen
Der Wandel zum Produktgeschäft erfordert auch strukturelle Anpassungen im Vertriebsteam. Während im Commodity-Handel oft traditionelle Key-Account-Manager die großen Kunden betreuten, sind nun spezialisierte Teams gefragt. Diese Teams fokussieren sich auf unterschiedliche Marktsegmente und Kundenbedürfnisse. Dabei spielt die Unterscheidung zwischen „Farmern“ und „Huntern“ eine zentrale Rolle: Farmer pflegen und entwickeln bestehende Kundenbeziehungen, während Hunter dynamisch neue Kunden akquirieren und Marktanteile gewinnen. So gilt es, mit dem neuen Geschäftsmodell und der Kleinteiligkeit gezielt Hunter aufzubauen, die hungrig und umtriebig sind.
Diese Veränderungen gehen jedoch mit kulturellen Herausforderungen einher. Denn es stellt sich die Frage, welche Vertriebsleistung mehr wert ist. Für viele Unternehmen ist die einzige Messgröße noch immer Volumen bzw. Umsatz. Dadurch werden die neuen Teams häufig zu Unrecht als „Kleckerlesgeschäft“ abgestempelt. Schaut man jedoch auf das Ergebnis, können die neuen Produkte meist nach kurzer Anlaufzeit mithalten. Voraussetzung dafür ist jedoch eine profitorientierte Steuerung und neue Anreizsysteme für den Vertrieb. Nur so können Mitarbeiter für neue Wege motiviert werden und sich den neuen Aufgaben stellen. Vertriebsmitarbeiter, die bisher auf langfristige Kundenbindung setzten, müssen nun verstärkt neue Kunden gewinnen. Eine klare Trennung durch spezialisierte Teams kann hierbei die Lösung sein: Während ein Team bestehende Kunden pflegt, kann sich ein anderes Team auf die Neukundengewinnung fokussieren.
Technologische Unterstützung und Vertriebsprozesse
Technologie spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle bei der Anpassung an diese neuen Anforderungen. Während viele Familienunternehmen in der alten Welt mit wenigen Großkunden noch ohne Customer Relationship Management-Systeme arbeiten konnten, führt mit der Neuausrichtung kein Weg an einem CRM vorbei. Dies ermöglicht eine bessere Verwaltung von Kundenbeziehungen, während Datenanalyse-Tools helfen, Markttrends zu identifizieren und das Kundenverhalten zu verstehen. Ebenso können trotz Kleinteiligkeit mit deutlich weniger Aufwand personalisierte Angebote entwickelt werden.
Selbstständige Bestellungen über Sales Portale
Ein weiterer Punkt, der in den Vordergrund rückt, sind Sales Portale. Diese bieten eine effiziente Lösung: Kunden können Produkte eigenständig bestellen, was den Vertriebsprozess vereinfacht und beschleunigt. So können kleinere Einzelhändler ihre Bestellungen direkt und ohne Zwischenhändler aufgeben, und das 24 Stunden an sieben Tagen der Woche.
Flexibles Pricing
Sales Portale bieten nicht nur Effizienz, sondern ermöglichen auch flexibles Pricing. Unternehmen können so schnell auf Marktveränderungen reagieren und höhere Margen erzielen. Allerdings steigt auch die Komplexität: Kleinteilige Bestellungen erfordern eine präzise und effiziente Abwicklung.
So setzte ein Unternehmen, das Nüsse und Trockenfrüchte vertreibt, ein flexibles Preismodell über ein Sales Portal um und profitierte von höheren Margen. Dies erforderte jedoch auch interne Anpassungen, um die vielen kleinen Bestellungen effizient zu bearbeiten.
Der Trade-off: Margen versus Komplexität
Der Übergang zum Produktgeschäft bringt nicht nur höhere Margen, sondern auch mehr Komplexität mit sich. Während der Handel oft auf große Volumina ausgerichtet ist, erfordert die Produktion eigener Produkte detaillierte Planung und Flexibilität. Gerade diese Komplexität macht vielen Unternehmen zu schaffen. Wer hier nicht automatisiert und IT-unterstützt agiert, gerät schnell ins Auftragschaos. Auch hier spielt das Thema Veränderung eine Rolle: Gerade ältere Kollegen, die es gewohnt waren, im Vertrieb zu „freestylen“, stoßen hier an systemische Grenzen. Sie können nicht mehr beliebig agieren, sondern müssen die bestehenden Systeme nutzen, um die Prozesse nicht durcheinander zu bringen.
Der neue Wettbewerb mit bestehenden Kunden
Ein oft übersehener Aspekt ist der potenzielle Wettbewerb mit bestehenden Kunden. Wenn ein Handelsunternehmen beginnt, eigene Produkte herzustellen, kann dies zu Konflikten mit bisherigen Abnehmern führen. Dieses Risiko muss man bewusst eingehen, und eine strategische Kommunikation ist unerlässlich, um bestehende Geschäftsbeziehungen zu erhalten. Alternativ lässt sich für die verarbeiteten Produkte auch eine neue Vertriebsmarke aufbauen, um den direkten Zusammenhang zu verschleiern und unter dem Radar zu bleiben.
Fazit
Die Transformation vom Commodities-Handel zum Produktgeschäft erfordert umfassende Anpassungen im Vertrieb. Unternehmen müssen ihre Zielgruppen neu definieren, Vertriebsstrukturen anpassen und Technologien effektiv nutzen. Die Einführung von Sales Portalen kann dabei eine Schlüsselrolle spielen, um Effizienz zu steigern und Margen zu verbessern. Kulturelle Veränderungen sind ebenso wichtig, um Mitarbeiter für die neuen Herausforderungen zu motivieren und langfristigen Erfolg zu sichern.
Stehen auch Sie vor ähnlichen Herausforderungen? Der Austausch mit anderen Familienunternehmen und die Nutzung bewährter Praktiken können Ihnen helfen, diese Transformation erfolgreich zu gestalten und neue Wachstumsmöglichkeiten zu erschließen.
Erschienen in: DIE NEWS 09/2024