„Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen“. Dieses Sprichwort ist heute gültiger denn je. Denn noch nie ist es Familienunternehmen so schwer gefallen wie heute, ihre Organisation so weiterzuentwickeln und anzupassen, dass sie strategischen Weitblick und die Erreichung der langfristigen Ziele wirklich optimal unterstützt und gleichzeitig dazu beiträgt, mit operativer Exzellenz kurz- und mittelfristig die Überlebensfähigkeit zu sichern. Die immensen Herausforderungen, die das Umfeld heute den Unternehmen aufgibt, verstärken dieses Muster zusätzlich.
Ganz nach dem altbekannten Motto „structure follows strategy“ muss sich die Unternehmensstrategie unmittelbar in der Organisation abbilden, damit sie bestmöglich umgesetzt werden kann. Wie ernst ein Unternehmen seine eigene Strategie nimmt, zeigt sich erst und gerade darin, wie das Unternehmen aktiv die Transformation vorantreibt und dafür Lösungen in Organisation und Führung findet.
Strategie verstehen wir dabei als Kompetenzmodell. Es geht nicht vorrangig um die Frage, welchen Umsatz und welches Ergebnis das Unternehmen in sieben Jahren erreichen soll. Vielmehr ist relevant, was ein Unternehmen in sieben Jahren können muss, um langfristig erfolgreich zu sein und Wettbewerbsvorteile zu schaffen. Dies spiegelt sich auch in der Organisation wider. Wenn Strategie und Organisation aber auseinanderlaufen, werden erhebliche Potentiale verschwendet.
Organisationen müssen heute wahre Multitalente sein
Organisationen müssen heute weit mehr ermöglichen und leisten als „nur“ Aufgaben zwischen Menschen sinnvoll zu strukturieren und zu steuern. Die vielen unterschiedlichen Anforderungen an Organisationen wirken zum Teil auch widersprüchlich:
- Operativ exzellent und wirtschaftlich, um das Tagesgeschäft optimal weiterentwickeln, einerseits, Agilität und Weitsicht, um das Unternehmen an den strategischen Zielen auszurichten, andererseits
- Sinnvolle Arbeitsteilung, um anspruchsvolle Aufgaben arbeitsteilig zu strukturieren und Zuständigkeiten klären, einerseits, bereichsübergreifendes Zusammenarbeiten von Menschen andererseits
- Stabilität und Dauerhaftigkeit für Handlungssicherheit durch organisatorische Regelungen einerseits, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, um sich an die verändernden Anforderungen des Marktes und der Kunden anpassen, andererseits
All das zusammen führt in vielen Fällen zu einer gewissen Zerrissenheit, zu einer Ambivalenz. Um diesen Anforderungen aber gerecht zu werden, braucht es ein neues Denken, sicherlich auch ein neues Führungsverständnis und neue Prinzipien für die Weiterentwicklung der Organisationen. Vor allem gilt es, hier nicht nur in die Schublade zu greifen und ein vermeintlich „modernes“ Organisationskonzept einzuführen, sondern es braucht ein klares Bild von den unternehmerischen Zielen, den aktuellen Gegebenheiten und den Menschen, die das Unternehmen prägen bzw. künftig prägen sollen. Dann lässt sich mit Pragmatismus und Systematik ein passendes Organisationsmodell entwickeln und in einer idealerweise agilen Herangehensweise Schritt für Schritt im Unternehmen realisieren. Ob all das auch gelingt, kommt stark auf die Haltung und das Vorleben der Unternehmer und der ersten Führungsebene an.
Entscheidend für die Transformation ist eine klare gemeinsame Orientierung
Transformation ist die Veränderung aus dem Ist-Zustand zu einem angestrebten Zielzustand, wodurch sich die Frage stellt, wie klar eigentlich dieser Zielzustand für Unternehmen ist. Häufig fehlt es nämlich an dieser Klarheit in der Strategie, denn diese steht nicht allein für sich, sondern beschreibt den Weg zu einem Ziel.
Dieses Ziel wird in der Vision zum Ausdruck gebracht. Die Mission des Unternehmens gibt hingegen die Orientierung, den Zweck und den Auftrag des Unternehmens wieder. Zu einem Leitbild gehört außerdem noch das Fundament, die Wertebasis und Kultur, die Selbstverständlichkeiten im täglichen Miteinander und die Art und Weise, wie wir im Unternehmen führen und geführt werden wollen. Erst dann kommt die Strategie durch die Umsetzung der strategischen Ziele bzw. die Transformation selbst zum Tragen.
Wenn also eine klare Orientierung fehlt, geraten Unternehmen schnell in eine Komplexitätsfalle. Bestehen organisatorische Unklarheiten oder Widersprüchlichkeiten, werden umso mehr Koordinationsmechanismen notwendig. Dafür ist der Kunde selten bereit zu bezahlen.
Ein Beispiel: Wenn es um operative Exzellenz im Kerngeschäft geht, geht es auch darum, durch Lernkurven- und Skaleneffekte gerade bei repetitiven Tätigkeiten positive Erträge zu erarbeiten. Viel spannender und motivierender mag es für manch einen dagegen erscheinen, jeweils einzigartige Lösungen für den Kunden zu erzeugen und nach einem erledigten Auftrag sich mit Begeisterung dem nächsten „Unikat“ zu widmen – aber auf lange Sicht vielleicht in Schönheit unterzugehen. Das geht das (fast) immer auf Kosten des Ergebnisses.
Beidhändigkeit als Schlüssel oder Falle
Was kann also funktionieren? Was braucht es morgen? Ich sehe einen recht einfachen Begriff als einen wesentlichen Schlüssel, um Organisationen künftig erfolgreich weiterzuentwickeln. Dieser Begriff ist die Beidhändigkeit – die gleiche Geschicklichkeit in beiden Händen zu haben.
Das Konzept ist nicht ganz neu, aber gerade in letzter Zeit erleben wir verstärkt, dass es genau für viele Familienunternehmen eine, wenn nicht die zentrale Herausforderung ist und künftig sein wird, die zwei Welten „Run the Business“ und „Change the Business“ miteinander zu verbinden und hier eine gute Balance zu entwickeln. So entstehen Exzellenz und langfristiger Erfolg.
Ein starkes und effizientes Kerngeschäft ist genauso wichtig wie die Entwicklung neuer Geschäftsfelder und innovativer Produkte sowie die Umsetzung der Unternehmensstrategie. Eine solche Balance lässt sich nicht einfach über Nacht top-down implementieren. Ein tiefgreifender Wandel ist hierfür erforderlich. Aber warum gelingt das vielen Unternehmen nicht? Warum verlaufen viele inhaltlich gute Programme im Sand? Zum einen fehlt oft ein konkretes Gespür für die Bedeutung des Wandels und ein Bewusstsein dafür, dass dieser zwingend notwendig ist. Im Zweifel oftmals genau dann, wenn der Erfolg am größten ist. Zum anderen fehlt aber in vielen Fällen auch schlicht die Kompetenz oder der Mut, Bestehendes wirklich in Frage zu stellen und einen Wandel durch vielschichtige anspruchsvolle Projekte zu orchestrieren und neben der klassischen Organisation auf Augenhöhe stattfinden zu lassen.
Viele Familienunternehmen sind nach wie vor hierarchisch geprägt und funktional organisiert. Diese Strukturen haben schließlich über viele Jahre sehr erfolgreich funktioniert. Wenn man dann ein wenig hinter die Kulissen blickt, tut sich häufig ein bekanntes Bild auf: Eine Geschäftsleitung, die vielleicht von oben „durchregiert“. Hohe Mauern stehen zwischen den Bereichen und Abteilungen, auch weil Menschen in ihren Silos incentiviert sind und zudem optimieren sich die Abteilungen in sich, meistens aber nicht übergreifend. Dazu kommt, dass häufig eine „Wir und die anderen“-Haltung entsteht. Das ist gerade in Projekten, die bereichsübergreifend zu lösen sind, ein echtes Problem. Deshalb braucht es die Beidhändigkeit, eine duale Perspektive. Wir haben hier zwei Welten, die sich zwar ergänzen, in denen jeweils aber andersartige Aufgaben bewältigt werden müssen. Daher braucht es auch unterschiedliche bzw. jeweils zu den Aufgaben passende Organisationsformen, Methoden und Ansätze.
Agiles Vorgehen in der Organisationsentwicklung
Für die Weiterentwicklung der Organisation steht häufig das bestehende Kerngeschäft („Run the Business“) im Vordergrund, wodurch die Ausrichtung an den strategischen Zielen in den Hintergrund gerät. Aber auch die Strategieumsetzung („Change the Business“) braucht eine klare Organisation, die passende Rollen, Prozesse und Regeln kennt.
Beide Welten sollten aus meiner Sicht unterschiedlich organisiert, aber laufend zusammengeführt und eng vernetzt werden. Und auch dieses Zusammenspiel muss organisiert werden. Dabei können wir sehr gut agile Prinzipien und Regeln nutzen. Hier nur einige wesentliche Aspekte:
- Als Ausgangspunkt dienen auf beiden Seiten die langfristigen strategischen Ziele (Orientierung!)
- Für das Kerngeschäft im Kontext „Run the Business“ wird mit einem passenden Organisations- und Führungsmodell (Makrodesign in „Black Boxes“) der organisatorische Rahmen aufgespannt. Ebenso müssen Governance-Fragen geklärt werden – das ist Topmanagement-Aufgabe. In der Detaillierung sollten dann auch die operativen Mitarbeiter aus den jeweiligen Unternehmensbereichen zum Zug kommen. Sie kennen die Aufgaben und vor allem die heutigen Handlungsfelder am besten.
- Auf der Seite der Strategieumsetzung („Change the Business“) muss das Umsetzungsprogramm inhaltlich strukturiert und klar priorisiert werden. Dann braucht es auch ein Organisationsmodell für die Umsetzung mit Rollen, Strukturen und Prozessen (Programmmanagement). Operative Exzellenz braucht es auch in der Strategieumsetzung!
- Die iterative Umsetzung des Gesamtprogramms erfolgt dann für beide Welten idealerweise integriert. Beispielsweise werden Ziele für einen Zeitraum von 12 Monaten festgelegt. Diese werden noch einmal in Zwischenziele heruntergebrochen, um den „Elefanten“ zeitlich und inhaltlich in Scheiben zu schneiden. Es muss verträglich bleiben! Während der Umsetzungsetappen werden dann messbarer (!) Fortschritt und Konflikte / Störungen sowie Entscheidungsbedarfe transparent gehalten und verbindlich verfolgt. Hierzu nutzen wir Reviews (sachliche Projektebene) und Retrospektiven (zwischenmenschliche und prozessuale Ebene). Es geht nie um Vergangenheitsbewältigung, sondern darum zu lernen und gemeinsam mit dem Team auf dieser Basis die nächsten Schritte zu planen und zu vereinbaren.
Erfolgreiche Transformation beginnt ganz oben
Organisationen selbst verändern nicht, Menschen tun es. Aber die Art und Weise, wie Menschen agieren, wie sie denken, wird auch durch ihre Organisation geprägt. Für die Wandlungsfähigkeit einer Organisation ist es wichtig, dass sich die Menschen in dieser Organisation nicht überidentifizieren mit dem, was heute stattfindet. Wie geht man aber die Veränderung einer Organisation an? In vielen Unternehmen braucht es ein neues Führungsverständnis, und zwar eines, das beiden Strängen der Transformation gerecht wird. Spätestens in der Umsetzung, im konkreten Tun, laufen „Run the Business“ und „Change the Business“ wieder zusammen. Alle Initiativen der Veränderung greifen auf dieselben Menschen und Ressourcen zu. Da ist es wichtig, die Dinge immer im Gesamtbild zu betrachten. Was ist jetzt dran? Was hat Vorfahrt? Welche Themen stellen wir ein Stück weit zurück?
Fazit
Eine aktive und vor allem erfolgreiche Organisationsentwicklung ist eine starke Haltungsfrage derer, die das Unternehmen führen. Eine Frage, wie man Führung und Zusammenarbeit im Unternehmen versteht. Hier gibt es einige Aspekte, die sich einfach anhören, aber in der Umsetzung einen sehr hohen Anspruch haben. All das führt auch zu einer veränderten Rolle der Führungskraft. Wo jemand bisher Chef, Entscheider, Steuerer war, muss er künftig viel mehr Coach, Berater, Trainer, Ermöglicher, sozialer und strategischer Kompetenzträger sein. Die Persönlichkeit zählt, die Führungskraft soll Rahmenbedingungen schaffen für selbständige Mitarbeiter. Daher braucht es auch in der Veränderung Beharrlichkeit und viele kleine Schritte. Auch mit Rückschlägen muss man umgehen können. Nicht jeder wird sich wohlfühlen und nicht alle Mitarbeiter werden diesen Weg mitgehen. Zum Erfolgsfaktor wird vor allem das Loslassen, und zwar von vorhandenen Strukturen und Regeln, Verantwortungen und Hierarchien und starren Prozessen. Nur wer loslassen kann, hat beide Hände frei.