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Blog-Artikel

Mehr als ein People-Business! Neues Denken im Vertrieb

Vertriebsstrategie in Familienunternehmen und Mittelstand

Julian Vögele | Vertriebsstrategie für den Mittelstand
Julian Vögele | Vertriebsstrategie für den Mittelstand

Themen in diesem Artikel

Wenn wir im Rahmen einer Unternehmenstransformation mit dem Vertrieb sprechen, starten unsere Gespräche meist mit folgenden Aussagen: „Transformiert nicht den Vertrieb, der Vertrieb hat unser Unternehmen groß gemacht“, „jeder Kunde ist ein guter Kunde“, oder „der Vertrieb ist und bleibt ein People-Business, wir sehen hier wirklich kein Veränderungsbedarf“. All die aufgeführten Aussagen sind uns bekannt und nachvollziehbar, sie machen uns aber auch klar wie selten das Thema Transformation im Vertrieb wirklich ganzheitlich durchdacht und in seinen Chancen als wichtiger Teil der Unternehmensstrategie berücksichtigt wird.

Von der Wachstums- zur Renditeorientierung

Wie bei allen Veränderungen startet auch die Transformation des Vertriebs zunächst mit der Leitfrage der grundsätzlichen Zielrichtung. Gerade im Mittelstand kommen die meisten Unternehmen aus einer jahrelangen Phase der Hochkonjunktur. Die bisherige Zielrichtung war deshalb auf kontinuierliches Wachstum ausgelegt. Nicht selten hören wir mit vollem Stolz von zweistelligen Wachstumszahlen der letzten Jahre. Für den Vertrieb war folglich die klare Marschrichtung „jeder neue Kunde ist ein guter Kunde“ und das meist nur mit Erfüllung von Mindestanforderungen in Richtung Profitabilität. Infolgedessen ist die Anzahl der Kunden und Produkte, aber auch der benötigten Mitarbeiter des Vertriebs rasant angestiegen, während zusammenhängende Prozesse und Strukturen nicht nachgezogen wurden. Doch leider hält man sich noch zu häufig an der Vergangenheit und deren Erfolgen fest und ignoriert oder unterschätzt die Notwendigkeit der Veränderung.

Mit Blick in die Gegenwart und Zukunft stoßen wir jedoch zunehmend auf eine Abschwächung des Wachstums bis hin zu einer Sättigung in einigen Märkten. Die Tatsache ist zwar bekannt, doch häufig noch nicht ernstgenommen bzw. nicht die richtigen Ableitungen getroffen. Von unserer Seite gibt es aber eine klare Empfehlung: der erste Schritt muss zu einem Richtungswechsel von einer reinen Wachstums- in eine stärkere Profitorientierung erfolgen. Was bedeutet das konkret? Natürlich richtet sich damit der erste Blick nicht mehr mit reinem Fokus auf das Umsatzergebnis und dessen Entwicklung, sondern auf den Gewinn, womit zahlreiche Fragestellungen in aufgeführten Themen folgen:

  • Produkt- und Serviceportfolio
  • Kundenstrukturen
  • Vertriebs-Prozesse, Rollen & Verantwortlichkeiten
  • Incentivierung
  • Digitalisierung

Produkt- und Service-Portfolios mit Blick auf Rentabilität

Eine der ersten und meist naheliegendsten Fragestellungen ist die nach der aktuellen Rentabilität des Produkt- und Service-Portfolios. Die meisten Unternehmen haben hier einen gefühlten Überblick, bei genauerer Nachfrage stellen wir jedoch häufig fest, wie schwammig das Wissen diesbezüglich ist. Über die Jahre hat sich bei den meisten Familienunternehmen durch das rasante Wachstum eine enorme Produktvielfalt aufgebaut, die nur selten regelmäßig überprüft und bereinigt wird. Die Folge ist ein großes und komplexes Produktportfolio, in welchem das Ergebnis der profitablen Produkte die unprofitablen Produkte häufig verwässert. Nicht zuletzt durch den rasanten Anstieg im Bereich Rohstoff- und Materialkosten kommt es außerdem zu neuer Verschiebung der Rentabilität, die sich teils auch kurzfristig geändert haben kann. Produkte, die letztes Jahr noch hoch rentabel waren, haben heute einen niedrigeren oder sogar einen negativen Deckungsbeitrag. Unsere Empfehlung ist an dieser Stelle z.B. über eine klassische A-B-C-Analyse herauszufinden, wie rentabel die unterschiedlichen Produkte und Services sind und wie diese das Ergebnis beeinflussen. Mit diesem Wissen lassen sich gezielt Portfolioentscheidungen treffen.

Doch es geht nicht nur um die Fragestellung, von welchen Produkt- und Services man sich trennen will und welche man ausbauen will. Ein weiteres Thema ist das Angebot neuer Services oder die Bepreisung von bisher kostenlosen Services. Häufig stellen wir an diesem Punkt fest, dass zahlreiche Unternehmen einen Großteil ihrer umfangreichen Services kostenlos zur Verfügung stellen. Nun argumentieren viele Unternehmen, das hätte ihre Firma groß gemacht und wäre einer ihrer USPs. Auch hier geben wir bedingt Recht. Im Rahmen einer profitorientierten Vertriebsausrichtung muss aber durchaus die Frage gestellt werden: trifft das für alle Services zu? Biete ich alle Services jedem meiner Kunden kostenlos an? Oder berechne ich umfangreiche Services initial und schreibe sie ggf. ab einer gewissen Umsatzgröße wieder gut? Diese Fragen gilt es zu klären und zielgerichtet zu entscheiden. Wichtig ist an dieser Stelle, die Entscheidung bewusst zu treffen und nicht, wie wir es so oft erleben, aufgrund der Historie den Status quo einfach fortzuführen.

Weitere Rentabilität durch Transparenz in der Kundenstruktur

Gleiche Fragestellung lässt sich auch auf die Kundenstruktur anwenden und meist sogar nur in Kombination mit dieser beantworten. Ähnlich wie beim Produktportfolio sind auch hier die Kundengröße und -vielfalt über die Jahre rasant gewachsen. Fragen wir nach Rentabilitäten der einzelnen Kunden, zeigt sich bei genauerem Hinsehen auch hier leider viel Unwissenheit. Während die Top 10 Kunden einem Unternehmen fast immer bekannt sind, verschwimmt das Bild mit Blick auf die Folgeplatzierungen zunehmend. Dieses Wissen und die Transparenz sind jedoch unabdingbar. Eine weitere Empfehlung ist an dieser Stelle, auch hier eine detaillierte Analyse zu fahren und zu prüfen, welche Kunden die Rendite positiv und welche negativ beeinflussen. Nur mit quantifizierten Ergebnissen, lassen sich folgende vertriebliche Entscheidungen treffen: Auf welche Kunden müssen wir unsere Vertriebsaktivitäten fokussieren? Bei welchen Kunden können wir den Aufwand reduzieren oder uns sogar bewusst trennen? Ist es zielführend, Preise zu erhöhen mit dem bewussten Risiko ausgewählte Kunden zu verlieren?

Spannend ist es an dieser Stelle, die gewonnenen Informationen über die Kundenstruktur mit den Produkt- und Serviceinformationen zu verbinden. Hieraus lassen sich Fragestellungen wie die Service- und Produkt-Bepreisung oder das Angebot von ausgewählten und limitierten Produkten- und Services noch besser bewerten und mit der zahlenbasierten Argumentation ist auch die Bereitschaft für die Veränderung deutlich leichter.

Vertriebsprozesse, Rollen und Verantwortlichkeiten müssen überprüft werden

Ist man in einem Unternehmen im Bereich der Veränderung der Produkt-/Service- und Kundenstrukturen angekommen, ist das Rad der Veränderung losgetreten. Spätestens mit Start der Veränderungsumsetzung, meist schon bei den ersten Diskussionen, stellen wir fest, dass auch die Vertriebsprozesse über die Jahre nicht nachgezogen oder häufig erst gar nicht definiert wurden. Alte Rollen bündeln eine Vielzahl von Aufgaben und so kommt es nicht selten vor, dass eine Vertriebsrolle den gesamten Prozess von der Kundenakquise, der Angebotserstellung, der Verhandlung, des Vertragsabschlusses, bis hin zu Kundenbetreuung sowie Neu- bzw. Rückgewinnung ganzheitlich betreut. Hinzu kommen noch ungeordnete Abstimmungen mit Produktion und Einkauf und vieles mehr.

Das Maß an Aufgaben, das historisch gewachsen ist, überfordert hierbei nicht selten einzelne Mitarbeiter. Nehmen Sie sich bewusst die Zeit, den gesamten Vertriebsprozess zu analysieren und zu hinterfragen. Auf Basis dessen kann überprüft werden, an welchen Stellen der Prozess besonders viel Zeit in Anspruch nimmt, wo es kritische Schnittstellen gibt, welche Schritte vereinfacht werden können oder wo es vielleicht sogar Redundanzen gibt. Mit diesem Wissen lässt sich leicht ableiten, wie sich der Prozess verändern muss und an welchen Stellen einzelne Schritte vielleicht von neuen Rollen übernommen werden können. Klassisch ist zum Beispiel die Angebotserstellung oder die Kundenakquise. Hier macht es häufig Sinn, den Innendienst auszubauen oder ihm mehr und neue Verantwortlichkeiten zu übergeben. Ein weiteres Beispiel sind neue Rollen im Bereich der Kundenberatung, die eine reine Produktberatungsfunktion innehaben und vom Vertragsabschluss unberührt bleiben. Generell kann der Prozess auch genutzt werden, Verantwortlichkeiten und Kompetenzen zu schärfen. Die Erfahrung zeigt, dass einzelne Vertriebsrollen ganz unterschiedliche Verantwortlichkeiten haben und damit verbunden auch andere Kompetenzen benötigt werden. Über den Prozess und die aufgeführten Aktivitäten können diese einfach abgeleitet werden.

Incentivierung folgt der Renditeorientierung

Incentivierung ist aus unserer Sicht ein höchst spezifisches Thema und muss sich an der individuellen Ausgestaltung der Vertriebsstrategie orientieren. Hier spielen alle Erkenntnisse mit rein, die in den vorgelagerten Schritten abgeleitet werden sollten. Gibt es zum Beispiel spezielle Produkte oder Kunden, auf die wir uns fokussieren? Wollen wir in ausgewählten Regionen oder Branchen eine stärkere Platzierung? All diese Fragen müssen bei der Incentivierung berücksichtigt werden. Unabhängig davon muss analog der Veränderung von einem wachstums- auf einen profitorientierten Vertrieb die Incentivierung folgen. Während in der Vergangenheit für den Vertrieb und insbesondere den Außendienst der Umsatz und das Wachstum die wichtigsten Zielgrößen waren, muss sich in Zukunft die Leistung des Vertriebs am Ergebnis, also dem Gewinn orientieren, und damit auch das Incentivierungsmodell.

Digitalisierung verändert alte Gewohnheiten und ermöglicht große Effizienzgewinne

Abschließend wollen wir nochmal auf ein übergreifendes aber an manchen Stellen durchaus sehr radikales Veränderungsthema eingehen: die Digitalisierung im Vertrieb. Was verstehen wir darunter und welche Veränderungen sind notwendig? Prinzipiell lassen sich fast alle Bereiche des Vertriebs digitalisieren bzw. mit digitalen Tools unterstützen. Das heißt nicht immer, dass komplette Tätigkeiten durch digitale Lösungen ersetzt werden müssen, aber es können zumindest in allen Bereichen die Aktivitäten unterstützt und damit enorm vereinfacht werden. Wichtig ist auch hier, das mögliche Potenzial zu kennen und für sein Unternehmen die richtigen Anwendungen ausfindig zu machen und bewusst zu entscheiden. Das startet z.B. mit der Kunden-Akquise. Während im Projektgeschäft Messen und persönliche Events noch bis vor kurzem den klassischen und meist einzigen Akquise-Kanal darstellten, so hat sich innerhalb der letzten Jahre der Fokus rasant geändert. Sicher spielen Messen auch weiterhin eine wichtige Rolle, jedoch werden diese ergänzt mit beispielsweise Webinaren, gezielten Onlinekampagnen und Social Media-Auftritten, die meist intensive Vor- oder Nacharbeit in der Informationsbereitstellung leisten.

Nie war es außerdem so einfach, genau die richtigen Kunden zu adressieren. Dabei können das Alter, der Wohnort, Geschlecht, Kaufkraft, und viele weitere Kriterien berücksichtigt werden. Es besteht die Möglichkeit, enorm viele Daten über seine bestehenden und potenziellen Kunden zu sammeln und sie damit zielgerichtet zu kontaktieren. Fortgeführt werden die digitalen Möglichkeiten im Angebotsprozess. CRM-Systeme wie Sales Force oder HubSpot gestalten den gesamten Prozess enorm effizient. Durch z.B. automatische Follow-ups in der Akquise und Dokumentation aller bestehenden Interaktionen werden die Aufgaben des Vertriebs außerordentlich einfach gestaltet und reduzieren den manuellen Aufwand enorm.

Ein weiterer Punkt sind Schnittstellen zu aktuellen Lagerbeständen. Immer wieder erfahren wir von Unternehmen, dass der Vertrieb den Kunden Produkte verspricht, die nicht zu beschaffen, nicht in gewünschter Lieferzeit realisierbar sind oder enorme Zusatzkosten verursachen. Durch digitale Schnittstellen zu den Beständen kann der Vertrieb bereits im Kundengespräch live Auskunft über die Lieferfähigkeit von Produkten oder den aktuellen Produktionsstatus geben. Dadurch können die Kundenzufriedenheit aber auch die Rentabilität signifikant gesteigert werden. Abschließend sind noch digitale Produkte an sich zu nennen. In vielen Branchen wurde das klassische Hardwaregeschäft durch digitale Services ergänzt. Dadurch hat der Vertrieb automatisiert oder manuell jederzeit die Möglichkeit, Cross- und Upselling-Potenziale mit bestehenden Kunden zu realisieren und die Kundenbeziehung nimmt einen ganz neuen Stellenwert ein.

Bevor Sie aber versuchen, jeden ihrer Geschäftsprozesse zu digitalisieren, ist unsere Empfehlung, immer zu bewerten, welche Schritte der Digitalisierung auch wirklich Sinn machen und welche nicht. Dies sollte immer in Abhängigkeit vom jeweiligen Geschäftsmodell entschieden werden und es sollte definitiv Raum für Hybridlösungen gelassen werden. So kann die Vorarbeit bis zu einem echten Kundengespräch durchaus maximal digital ablaufen, das finale Gespräch mit dem Kunden hat jedoch abhängig von Produkt und Service sowie vom Kunden durchaus seine Berechtigung weiterhin physisch abzulaufen. Wichtig ist immer, den Vorteil der Digitalisierung für alle Zielgruppe zu überprüfen.

Fazit

Die Transformation macht keinen Halt am Vertrieb. Als erster Ansprechpartner für Kunden nimmt dieser (inkl. aller unterstützenden Funktionen) im Rahmen der Transformation eine zentrale Rolle ein. Neben der grundsätzlichen Neu-Orientierung von einer wachstums- zu einer renditeorientierten Sichtweise gibt es zahlreiche Veränderungspunkte, die strukturiert und bedarfsgerecht angegangen werden müssen. Angefangen von der relevanten Veränderung im Bereich Produkt- und Service-Angebot gilt es, diese abgestimmt auf die gewünschte Kundenstruktur zu überprüfen und die richtigen Ableitungen zu treffen. In gleichem Atemzug ist hier aber auch Veränderungsbedarf im Bereich der Vertriebsprozesse, -rollen, Verantwortlichkeiten und nicht zuletzt im Bereich der Incentivierung zu nennen. Sind die strukturellen Themen definiert, lassen sich außerdem zahlreiche Möglichkeiten der Digitalisierung ergänzen, um die Effizienz zu steigern, die Aufmerksamkeit auf die richtigen und wichtigen Dinge zu legen sowie wettbewerbsfähig zu bleiben.

Abschließend lässt sich also bestätigen, dass der Vertrieb in der Vergangenheit sicher viele Unternehmen groß gemacht hat und für den Erfolg einen elementaren Bestandteil darstellt. Um langfristig erfolgreich zu sein, muss sich der Vertrieb jedoch den relevanten Fragen der Veränderungen stellen, diese beantworten und klare Entscheidungen treffen. Somit ist nicht jeder neue Kunde immer automatisch ein guter Kunde, das Thema People-Business muss an den richtigen Stellen gezielt eingesetzt werden und wird zweifelsohne durch digitale Lösungen unterstützt.

Autor

Julian Vögele

Senior Projektleiter
Julian Vögele
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