Wahrscheinlich sind nur wenige „Management-Weisheiten“ häufiger zitiert worden als folgende: Die Organisation muss zur Strategie passen. „Structure follows strategy“. Aber eine Organisation muss heute weit mehr ermöglichen und leisten.
Transformation bedeutet zunächst einmal so viel wie etwas umformen, die Veränderung aus dem Ist-Zustand zu einem angestrebten Zielzustand. Übertragen auf Organisationen könnte man vermuten, man wolle „lediglich“ von einem stabilen Zustand in einen neuen stabilen Zustand übergehen. Die Linienorganisation mit pyramidalen, hierarchisch geprägten Strukturen ist zwar nach wie vor das führende Organisationsprinzip. Eine Anpassung des Organigramms oder einzelner Prozesse wird aber nicht mehr ausreichend sein. Denn der Umfang der Aufgaben im Unternehmen, die eben nicht häufig wiederkehrend, sondern sehr sprunghaft und ohne großen Vorlauf erledigt werden müssen, nimmt schon heute stark zu und wird weiter zunehmen. Die Suche nach stabilen Zuständen ist in diesen Fällen also nicht die richtige Antwort. Und es gilt, nicht nur in die Schublade zu greifen und ein neues Organisationskonzept einzuführen, sondern es braucht ein klares, sehr differenziertes Bild von den unternehmerischen Zielen, den aktuellen Gegebenheiten und den Menschen, die das Unternehmen prägen bzw. künftig prägen sollen. Dann lässt sich mit Pragmatismus und Systematik ein passendes Organisationsmodell entwickeln und in einer agilen Herangehensweise Schritt für Schritt im Unternehmen realisieren.
Die Weiterentwicklung von Organisationen hört nie auf
Eine „Mindesthaltbarkeitsdauer“ von Organisationen gibt es nicht. Die Idee, dass nach einer abgeschlossenen Organisationsänderung eine längere Zeit der Stabilität und der Ruhe nötig ist (so hören wir das immer wieder in Unternehmen), damit das neue System funktionieren kann, ist schlichtweg überholt. Organisationen sind immer Mittel zu einem Zweck, nie der Zweck selbst. Damit gilt aber auch: Ändert sich der Zweck (zum Beispiel durch eine Veränderung der Strategie), müssen sich die Mittel ändern. Nicht der große Wurf zählt, sondern das schnelle, kurzfristige Ausprobieren in der Praxis und das Sammeln von Erfahrung in kleinen Schritten. Daher muss der große „Elefant“ Organisationsveränderung zeitlich und inhaltlich in Scheiben, in kleine Happen zerlegt werden. Dazu sollte auch in der Organisationsentwicklung das „80:20-Prinzip“ zum Einsatz kommen. Nicht alle Situationen und deren Auswirkungen sind vorhersehbar, gewollte Perfektion bis ins letzte Detail ist gerade heute fehl am Platz. Im Gegenteil: Dieses Denken führt in aller Regel zu einer erheblichen organisationalen Verschwendung, da Unternehmen so vielfältige Erfolgspotentiale ungenutzt lassen.
Worauf kommt es stattdessen an? Hier nur einige Gedanken:
- Ein klares gemeinsames Zielbild als Orientierung entwickeln
- „Minimum Viable Product“ als Umsetzungsprinzip auch in der Organisationsentwicklung
- Emergenz, nicht Perfektion
- Schaffen von Freiräumen (räumlich und zeitlich)
- Kurze, effektive Stand-ups / Stehungen statt langwieriger Sitzungen
Eine These erleben wir hier immer wieder als sehr zutreffend: Struktur schafft Kultur. Wenn aktiv, sichtbar und erlebbar der Rahmen für das Miteinander und die Zusammenarbeit verändert wird, setzt das bei Mitarbeitern häufig Schritt für Schritt eine andere Haltung, eine ausgeprägte Offenheit und ein hohes Vertrauen in die eigenen Problemlösungsfähigkeiten und in die des Teams frei. Die Kehrseite ist allerdings: nicht immer werden alle Mitarbeiter diesen Weg mitgehen (können).
Auf die Haltung kommt es an
Am Ende ist erfolgreiche Organisationsentwicklung ganz stark eine Haltungsfrage derer, die das Unternehmen führen. Eine Frage, wie man Führung und Zusammenarbeit im Unternehmen versteht. Da gibt es ein paar Aspekte, die sich recht einfach anhören, und die Sie sicher auch schon immer wieder gehört haben. Aber diese zu leben, hat einen sehr hohen Anspruch.
- Wer eigenverantwortliche Mitarbeiter will, muss als Vorbild vorangehen!
- Führen heißt (dann umso mehr): andere emporheben
- Entscheidungen dort treffen, wo sie anfallen, nicht nur auf die Entscheidung von oben warten (oder sich entsprechend absichern)
- Fehler zulassen (nicht neu, aber umso relevanter!) und gemeinsam Schlüsse ziehen
- Transparenz für alle Beteiligten schaffen
- Viel kommunizieren – zu viel ist kaum möglich!
All das verlangt der Führung viel Vertrauen und Zutrauen ab. So kann aber die Organisation immer mehr als Organismus, als Netzwerk, das gemeinsam Aufgaben bewältigt, verstanden werden – mit mehr Eigenverantwortung und „Can Do-Mentalität“ der Mitarbeiter.
Fazit
Organisationen streben in der Regel nicht von sich aus Veränderungen an. Auch lassen sie sich nicht von außen einfach zu einem Wunschzustand hin verändern. Das Gegenteil erleben wir nur allzu oft. Eine Organisation optimiert sich unbewusst so, dass Veränderungen vermieden werden, die den Status quo und das Machtgefüge der Führungsebenen betreffen. Als Folge davon wird jede Veränderungsinitiative im Wesentlichen darauf reduziert, neue Begriffe so umzudefinieren oder umzuinterpretieren, dass sie eigentlich den Status quo widerspiegeln: „Das machen wir doch eigentlich schon so…“
Eine Organisation ist in dieser Logik nicht nach einem Organisationsprojekt „fertig“, sondern es werden in kleinen Schritten besser werdende Versionen laufend weiter angepasst – und zwar immer mit einem klaren Commitment der Führungsmannschaft. So lassen sich schnelle Anpassungsfähigkeit und langfristige Zielsetzungen mit strategischem Weitblick in Einklang bringen. Dann kann es gelingen, die Haltung der Beteiligten nach und nach zu verändern. So entsteht eine Kultur der Transformation, in der Veränderungen eben nicht als Ausnahmesituationen und Bedrohungen erlebt werden. Zum Erfolgsfaktor wird es also loszulassen – und zwar vorhandene Strukturen und Regeln, Verantwortung und Hierarchien, starre Prozesse. Denn: Wer loslässt, hat zwei Hände frei!